Ein Schlüssel zum Universum der Kinderantworten
Jede Frage, die von einem Kind gestellt und von einem Erwachsenen beantwortet wird, verpufft mitten im Universum. Seit die Atelierista Gundi Bahr das beobachtet, übt sie sich in Zurücknahme und im Zuhören. Den Kindern im Kindergarten der rheinland-pfälzischen Stadt Unkel hat sie schon viele Geschichten abgelauscht. Einige hat sie für uns aufgeschrieben.
Als Gastgeberin in unserem Atelier bin ich häufig stille Teilnehmerin an naturwissenschaftlichen Überlegungen, philosophischen Gesprächskreisen und politischen Debatten. Vor allem seit ich gelernt habe, mich zurückzunehmen und auf die Fragen der Kinder mit Fragen zu antworten statt mit Antworten, höre ich unglaubliche Geschichten. Am meisten beeindruckt mich ihre Sicht auf die Welt und wie klar sie diese kommunizieren.
Sich selbst bilden
Kinder sollen sich selbst bilden und das funktioniert nur, wenn wir Erwachsenen ihnen nicht ständig dazwischenreden. Ich bin fest davon überzeugt, dass jedes Kind die Antworten auf seine Fragen in sich trägt. Wenn wir seiner Kreativität Raum geben, kann es sie rauslassen. Wenn wir ihnen den Raum nicht geben, werden sie sich kein eigenes Bild von der Welt machen können und ihre Antworten das Licht der Welt nicht erblicken. Sie verpuffen mitten im Universum, noch bevor sie gedacht wurden. Deshalb sollten wir unsere Erfahrungen mit der Welt hintenanstellen – auch dann, wenn wir im Vorfeld wissen, dass die Kinder gleich in einer Sackgasse landen. Sackgassen sind gut, da muss man andersrum denken. Wir Erwachsenen haben das verlernt, weil wir ständig versuchen, den schnellsten Weg zu finden. Dass sich auch rechts und links des Weges eine Menge entdecken lässt, können wir wieder lernen. Am besten von den Kindern. Dafür müssen wir lediglich von unserem Podest der Welterklärer:innen heruntersteigen. Man kann ganz einfach damit anfangen. Mit meinem Lieblingsschlüssel zum Universum der Kinderantworten z.B.: Fragen, wie »Was denkst du?« oder »Wie bist du darauf gekommen? Erzähl es mir!« Das Leben ist für Kinder voller Magie und Wunder. Warum sollten wir ihnen den Zauber nehmen und ihnen erklären, was »eigentlich« passiert, wenn ein Regenbogen entsteht. Sie werden es selbst herausfinden. Irgendwann. Zu ihrer Zeit. Bis dahin können sie ihre eigenen Theorien und Konzepte entwickeln.
Aufeinander achtgeben
Einmal habe ich die Kinder gefragt, wie sie die Hungernden und Armen dieser Welt unterstützen möchten und das Problem der Armut lösen wollen. Bewegung in die Frage brachte der Abriss einiger baufälliger Gebäude, den die Kinder aufmerksam verfolgt hatten, und meine Idee, an der Ausschreibung zur Neubebauung teilzunehmen. Das passte, denn die Kinder waren, inspiriert durch ein Buch des spanischen Architekten Antoni Gaudí, ohnehin gerade dabei, Häuser aus Kartons zu bauen. Über einen Zeitraum von drei Monaten konstruierten die Kinder ein ganzes Stadtviertel, in dem sich der Ausgleich zwischen Arm und Reich ohne großen Aufwand umsetzen ließ: »Gundi, das ist ganz einfach. Schau mal, wir haben hier die Häuser gebaut. Und in jedem Haus ist eine Wohnung, die von reichen Menschen bewohnt wird. Oder auch von mehreren Familien. Aber nicht nur Reiche, sondern auch Menschen, die etwas arm sind oder ganz arm. Hier unten in der ersten Wohnung steht ein Kühlschrank. Und wenn die reichen Menschen einkaufen gehen, dann bringen sie der ärmeren Familie einfach etwas mit. Wenn jeder etwas in den Kühlschrank stellt, haben alle genug zu essen. Die Armen nehmen sich einfach ein paar Sachen aus dem Kühlschrank. Und hier draußen unter den Bäumen, da stehen Bänke und Tische, wo alle gemeinsam essen können! Wir müssen nur aufeinander achten.« Unser Bebauungsplan hat die Ausschreibung zwar nicht gewonnen, aber wir bekamen die Einladung, ihn für drei Monate am Bauzaun anzubringen und auf diesem Weg der Öffentlichkeit bekannt zu machen. Das Anbringen unserer Präsentation begleitete ein Architekt, der ebenfalls an der Ausschreibung teilgenommen hatte und ein Stadtrat, der uns anschließend zu einer Tasse Kakao in ein Café in Unkel einlud. Und wer weiß …, vielleicht lebt die Idee in einem der Kinder weiter und es wird vielleicht später mal Städtebauentwickler:in?
Gundi Bahr ist Atelierista und ressourcenorientierte Kunsttherapeutin. Sie arbeitet seit 2014 im Haus der kleinen Lebenskünstler in Unkel. Freiberuflich unterstützt und begleitet sie Kita-Teams, die offen arbeiten wollen.
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Den vollständigen Beitrag und weitere Artikel zum Thema können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 11-12/2022 lesen.