Petra Rost leitete in der DDR eine kleine Dorf-Kita und, wie damals üblich, war sie die »Bestimmerin«. Nach der Wende entdeckte sie ein anderes Bild vom Kind und ihre Neugier auf deren Entdeckungen. Heute ist sie Fachberaterin und hilft ihren Kolleginnen, sich den Aufgaben der Zeit zu stellen – auch wenn es darum geht, Flüchtlingskinder aufzunehmen.
»Stellt euch vor, nächste Woche werden unserer Kita und dem Hort einige Flüchtlingskinder zugewiesen. Wie können wir den Kindern und ihren Familien zeigen und sie erleben lassen, dass sie herzlich willkommen sind? Welche Gedanken und Gefühle bewegen euch dabei?« Petra Rost steht am Flipchart vor vier Erzieherinnen und Erziehern der »Insel«-Kita Neuenhagen nahe der Oder, einer Einrichtung vom »Haus sozialer Integration« e.V. Bad Freienwalde. Bei dem Träger ist die 54-Jährige als Fachberaterin und Mediatorin tätig. Aus aktuellem Anlass nutzt sie die Dienstberatung an dem Mittwochmorgen, um sich für eine knappe Stunde mit einem Teil des Teams erstmalig auf diese neue Aufgabe einzustimmen. Auch für die kleine Kita kurz vor der polnischen Grenze eine Realität.
Christin erzählt, dass für Flüchtlinge aus dem Aufnahmelager in Eisenhüttenstadt feste Unterkünfte gesucht werden, Stefan, dass in seiner Fußballmannschaft in Wriezen junge Männer aus einem Flüchtlingsheim mitspielen. Ein vierjähriger Junge, Alex, besucht bereits die Kita, erwähnt Christina, kein Flüchtling. Er kommt aus Rumänien und ist bisher das einzige Kind mit nichtdeutscher Herkunft. Er spricht auch noch nicht deutsch. Für die anderen Mädchen und Jungen sei das kein Problem. Sie erklärten sich im Spiel mit Händen und Füßen. Auf diese Weise will auch Christina ihre Offenheit und Zugewandtheit den Flüchtlingskindern zeigen: Mit Gesten, ihrem Lächeln. Vermutlich werden sie im Team nicht die Sprachen der Neuankömmlinge sprechen. »Wir können auch Fotos von den Kindern machen und in ihrer Sprache ›Guten Tag‹ an die Tür schreiben«, sammeln die Kollegen später Vorschläge, wie sie eine Willkommenskultur gestalten wollen.
Petra Rost arbeitet beim Jugendamt in Märkisch Oderland in einer Arbeitsgruppe Flüchtlingskinder mit und ist mit der RAA, der Regionalstelle für Bildung, Integration und Demokratie vernetzt, die auch beim Übersetzen hilft. Über Musik könnten sie den Fremden helfen, sich einzugewöhnen, mit einem gemeinsamen Trommelworkshop, gemeinsamen Festen, zu denen sie kochen und backen und auch Geschichten erzählen. Am Ende der Dienstberatung stehen auf einer Flipchartseite einige Ideen für die Öffnung ihrer Kita für die neue Aufgabe: Flüchtlingskinder willkommen zu heißen und für ein sicheres Aufwachsen mit Sorge zu tragen.
»Was denkt ihr ihr über Flüchtlinge?«
Zuvor forderte Petra Rost ihre KollegInnen heraus: »Welche Gedanken gehen euch durch den Kopf?« Sie verteilt Zettel, damit jeder seine Fragen und Nöte loswerden kann: Kommen Krankheiten auf uns zu? Welchen Religionen gehören die Ankommenden an? Müssen wir den Kindern Raum zum Beten bieten? Wie ist das mit den Betreuungsverträgen, den Portfolios? Werden die Eltern diese verstehen oder müssen wir sie übersetzen? Werden wir die Familien in Trauerarbeit begleiten müssen und wie? Und vor allem: Schaffen wir das mit dem vorhandenen Personal? Wie können wir uns vernetzen und bekommen zusätzliche Ressourcen?
Petra Rost erinnern all diese Gedanken an jene Zeit, da sie zum ersten Mal mit dem Thema Flüchtlinge konfrontiert wurde: 1994, als in dem uckermärkischen Dorf, in dem sie wohnte und arbeitete, von heute auf morgen ein Asylantenheim eröffnet wurde. »350 Seelen zählte das Dorf. Und so viele Menschen zogen in das Heim ein.« Wenig später stand ein Vater in der Kita und verlangte von ihr als Kitaleiterin, dass sie seine Kinder aufnehmen müsse. »Ich war hilflos und überfordert.« Einige Kinder wagten sich nicht mehr von der Kita allein nach Hause zu gehen, weil sie Angst hatten. Mit ihren Kolleginnen holte Petra Rost sich Unterstützung bei dem Projekt »Kindersituationen« der Freien Universität Berlin, mit dem sie das pädagogische Konzept ihrer Kita weiterentwickelte und den Situationsansatz kennenlernte. Unsicher, nicht ausländerfeindlich
»Wir sind nicht ausländerfeindlich. Aber wir haben viele Fragen«, sagten sie denen und begab sich auf eine Entdeckungsreise: Was heißt es, zusammen zu leben? Sich gegenseitig zu respektieren, sich an der Vielfalt zu erfreuen und die Gemeinsamkeiten zu feiern, ohne die Unterschiede unter den Tisch zu kehren? Petra Rost holt einen dicken Ordner aus dieser Zeit hervor, in der noch handgeschrieben die Fragen und Vorschläge ihrer Kolleginnen nachzulesen sind. 42 Kinder aus dem Dorf besuchten ihre Kita in Crussow. Dazu kamen acht aus dem Heim. »Ich war neugierig auf diese Kinder, wollte wissen, was macht sie aus und was können wir gemeinsam entwickeln?«, erinnert sich die Kitafachfrau an Andrea, Fabien, Nina, die sie damals in ihrer Gruppe hatte. Ein Mädchen erzählte, ihr Vater sei Bäcker.
Mit dem buken bald die Kinder der Kita Brot und bereiteten Feste vor. Bei allem ließ sich das Kitateam von der Frage leiten: »Was brauchen die Kinder? Und was davon können wir ihnen geben?« Es entstanden Familienwürfel, mit verschiedenen Bildern von Kindern in ihren Familien, auch ein Kalender, in dem die Flüchtlingskinder auf ihre Heimat verwiesen.
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 10/15 lesen.