Stichwort: Vorbereitung auf die Schule
Wenn der Begriff Offene Arbeit fällt, verdrehen nicht wenige Kolleginnen die Augen. Sie verbinden mit diesem Konzept Chaos, Desorientierung, Überforderung. Manchmal haben sie Ähnliches erlebt; häufiger entstammen die Schreckensbilder jedoch dem Hörensagen. Das Wort »offen« ist tatsächlich offen für jedwede Interpretation. Deshalb versucht Gerlinde Lill, Mitglied im Netzwerk Offene Arbeit Berlin, den Begriff zu klären, und geht auf die Suche nach den sichtbaren und unsichtbaren Seiten der Offenen Arbeit – diesmal unter dem Stichwort: Vorbereitung auf die Schule.
Spätestens wenn die Schule ihre Schatten voraus wirft, geraten offene Arbeitsformen ins Trudeln. Die Eltern werden unruhig. Sie fürchten, ihr Kinder würden nicht gut genug auf die Schule vorbereitet, wenn sie sich weiterhin quer durch die Altersgruppen mischen und eigenen Interessen folgen. Und die Erzieherinnen fühlen sich diesen Ängsten gegenüber oft hilflos.
Der Hinweis, dass Bildung in der Kita von Anfang an stattfindet, hilft nicht viel, denn die neue Situation setzt besondere Emotionen frei, auf die in besonderer Weise reagiert werden muss. Aber bitte nicht in der altbackenen Form der »Vorschule«, die Fünfjährige – und neuerdings gar Vierjährige – zusammensperrt, damit sie »schulnahe Vorläuferkompetenzen« trainieren.
Die Schule stirbt...
Keine Frage, Eltern und Erzieherinnen meinen es gut. Sie wollen vermeiden, dass die Kinder in der Schule »anecken«, und halten es daher für notwendig, Verhaltensweisen und Fähigkeiten zu trainieren, die nach ihrer Erfahrung erwartet werden: die Bereitschaft, sich in eine geschlossene Gemeinschaft einzufügen und den Anweisungen von Erwachsenen fraglos Folge zu leisten, Konzentration und Aufmerksamkeit im Unterricht, Pünktlichkeit und Disziplin, Verantwortung und Ordnung im Umgang mit Materialien, Selbstständigkeit bei Alltagsverrichtungen und natürlich das Beherrschen der deutschen Sprache. Stichwort: Schulfähigkeit.
Da geistert noch immer ein Bild von Schule durch die Köpfe, das längst in Auflösung begriffen ist. Es stimmt zwar: In der Realität begegnen Kinder und Eltern immer noch Lehrerinnen und Lehrern »vom alten Schlag«. Das muss aber niemand widerspruchslos hinnehmen oder gar durch vorauseilenden Gehorsam stabilisieren. Denn diese Schule und ihre Lehrer sterben aus. Je stärker wir daran mitwirken, desto schneller.
Es lebe die Schule!
Schule verändert sich. Die Anforderungen der Zukunft an Bildungsinstitutionen verlangen nicht nur von Kindertageseinrichtungen eine neue Sicht und andere Arbeitsweisen. Fachdebatten, Praxisprojekte, Gesetze – alles läuft in Richtung Öffnung für neue Ideen: Jahrgangsübergreifende Lerngruppen statt altershomogener Klassen, differenzierte Förderung statt »alle über einen Kamm«, Kleingruppenarbeit statt Frontalunterricht, Projekte statt Fächerunterricht, Experimentieren, Forschen, Handeln statt abstrakter Wissensvermittlung, Interessenschwerpunkte statt Abarbeiten von Lehrstoff, an Stärken orientiert statt Defizitblick, Selbstregulierung statt Fremdbestimmung... Vor allem aber: Kommunikation, Kooperation und gemeinsame Reflexion der Arbeit statt Einzelkämpfertum hinter geschlossenen Klassentüren.
Das sind bereits seit 30 Jahren die Linien der Schulentwicklung. Erst jetzt werden sie allmählich flächendeckend zum Programm. Denn unter anderem hat PISA gezeigt: Wenn Lernen gelingen soll, braucht es förderliche Lernbedingungen. Förderlich waren die alten Bedingungen aber allenfalls für Kinder, die den Wunschvorstellungen der Pädagogen entsprachen. »Zu« selbstbewusste oder kluge Kinder passten ebenso wenig ins Schema wie widerborstige oder Kinder mit einer Behinderung.
Niemand soll sich krümmen...
Tatsächlich beschweren sich Schulen zuweilen bei Kitas, weil die Kinder zu genau wissen, was sie wollen, nachfragen, wenn sie etwas nicht verstehen oder den Sinn einer Anweisung nicht nachvollziehen können. Wir haben es im Netzwerk Offene Arbeit erlebt.
Das kann ja wohl kaum zur Konsequenz haben, dass wir die Kinder wieder zu Duckmäusern erziehen. Frei nach dem Motto: Wenn das Leben in der Schule kein Honigschlecken ist, dann muss auch vorher Schmalhans Küchenmeister sein. Oder: Früh krümmt sich, was ein Häkchen werden will. Nee, nee...
Der Auftrag von Bildungsinstitutionen ist in der Bundesrepublik auf Demokratiefähigkeit, Eigenständigkeit und lebenslange Lernbereitschaft gerichtet. Statt Einzelwissen aufzuschnappen, geht es darum, Zusammenhänge herzustellen, Basiskompetenzen zu erwerben und die Freude an eigener Weiterentwicklung zu erhalten. Dem entsprechen die Ziele, Inhalte und Methoden der neuen Bildungsprogramme für die Arbeit in Kindertagesstätten und geben damit grundsätzlich auch die Richtung für Schule an. Es ist inzwischen klar, dass Kita nicht auf bloße Betreuung plus spätere Lieferung passgenauer Kinder reduziert werden darf.
www.wissenundwachsen.de
Auf Initiative des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und der Initiative D21 wurde dieses Portal für Erzieherinnen, Tagespflegepersonen, Eltern und Kinder geschaffen. Das Portal »Wissen & Wachsen« bietet Ihnen Tipps und Anregungen für die tägliche praktische Arbeit. Ein Baustein ist der Bereich »Sprache & Sprachförderung«.
www.bildungsserver.de
Viele Links zu interessanten Seiten, die sich mit den Themen »Sprache« und »Sprachförderung« beschäftigen, finden sich unter > Elementarbildung > Pädagogische Praxis. Links zum Thema Übergang Kita-Schule finden Sie unter > Elementarbildung > Übergänge.
www.kindergartenpaedagogik.de
Umfangreiche Fachtexte zum Download, besonders auch zum Thema »Elternarbeit«.
www.mckinsey-bildet.de
Die Initiative »McKinsey bildet.« hat das Ziel, eine umfassende Reform des Bildungssystems in Deutschland anzustoßen und zu unterstützen. Dabei widmete sich »McKinsey bildet.« in den Jahren 2001 und 2002 neben unterschiedlichen Bildungsthemen zum Beispiel auch der frühkindlichen Bildung.
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 03-04/06 lesen.