Erlebnisse beim Überarbeiten kopierter Porträtfotos
Alles beginnt mit einem Fototermin. Aufs Stativ geschraubt, steht die Digitalkamera vor der weißen Wand. Ein Scheinwerfer ist neben dem Stuhl installiert – nicht nur, um das Motiv ins rechte Licht zu rücken, sondern auch, um ein wenig Studio-Atmosphäre in die Werkstatt zu holen. Alle Kinder, die sechs- wie die zwölfjährigen, können nun reihum im Scheinwerferlicht ihre Gesichter der Kamera darbieten. »Normal«, kommentieren einige, mit »fotogenem« Lächeln oder Grimassen schneidend. Letzteres sorgt für Heiterkeit und witzelnde Kommentare beim ersten Begutachten der Ergebnisse auf dem Kamera-Display.
Das eigene Konterfei als Gegenüber
Das Fotografieren ist nur der erste Schritt – die Vorarbeit sozusagen. Je-weils zwei ausgewählte Fotos pro Kind vergrößert anschließend der Drucker. Die Schwarz-Weiß-Ausdrucke werden im Copy-Center auf DIN A3 vergrößert und vervielfältigt. Besondere Qualität ist nicht angestrebt, ganz im Gegenteil: Beim Kopieren zeichnet der Modus der »helleren Wiedergabe« das vergrößerte Porträt weich und löst belichtete Konturen im weißen Grund stellenweise auf.
Die geheimnisvoll schemenhaften, doch deutlich wiedererkennbaren Abbilder dienen den Kindern eine Woche später als Grundlage für vielfältige Überarbeitungen. Grundlegend sind sie im wörtlichen Sinne, denn nun kann jeder auf sein eigenes Konterfei reagieren, es als Untergrund für malerische oder zeichnerische Verfremdungen nutzen. Neben der mimischen Verzerrung ist die zurückgenommene Präsenz und Schärfe der Kopien ein wichtiger Impuls zur tätigen Kontaktaufnahme, denn perfekte Abzüge schöner Porträtfotos bearbeitet man nicht so bereitwillig mit dem Pinsel oder dem Stift wie die fast skizzenhaft wirkenden Blätter.
Die Arbeit an der Wand oder der Staffelei unterstützt das freie Reagieren, weil die Abbilder nun als Gegenüber auf gleicher Augenhöhe erscheinen. Wie Spiegel-Bilder blicken sie fragend und herausfordernd auf die davor stehenden Kinder, die bei dieser Konfrontation mit beiden Händen malerisch aktiv werden können. Drei bis fünf Blätter stehen jedem Kind für die Überarbeitungen zur Verfügung.
Wie sehe ich aus, wenn ich alt bin?
Impulsiv mit Farbe und Pinsel, Stiften, Kohle oder Kreide, mit Pigmenten, der Sprühflasche und Lasuren, mit Gipsbinden und Abdrücken auf das eigene Gesicht zu reagieren, das schafft einen ersten spontanen Zugang. Dabei ergeben sich bereits konkrete Fragen: Wie verändert eine neue Frisur oder eine Kopfbedeckung mein Gesicht? Was wäre, wenn ich eine Brille trüge oder wenn sie, als dunkle Sonnenbrille, den Blick in meine Augen verhinderte? Aktionen wie Schminken, Frisieren, Streicheln, Küssen oder Waschen werden auf ihre Übersetzbarkeit in Spuren erzeugende Bildaktivitäten hin untersucht.
Weitere Herausforderungen bietet anschließend das im gemeinsamen Ideenaustausch erarbeitete Feld thematischer Impulse: Wie sehe ich aus, wenn ich alt bin? Wer schafft es, sich von einem Jungen in ein Mädchen zu verwandeln und umgekehrt? Wie würde ich gern aussehen? Wie sehe ich zum Fürchten aus? In welches Tier kann ich mich verwandeln? Wie verändern mysteriöse Krankheiten mein Gesicht?
Beim aktionsreichen Reagieren auf solche Herausforderungen entwickeln wir Strategien, um zu ausdrucksvollen, interessanten Lösungen zu gelangen. Der Spaß ist dabei nicht weniger wichtig als das Ergebnis, das schon mal im Eifer der Aktion völlig übermalt wird. Einige Kinder knüllen ihre Abbilder zusammen und streichen sie anschließend wieder glatt, um Falten und Runzeln in den Gesichtern zu erzeugen.
Dr. Petra Kathke, Kunstpädagogin und Kunsthistorikern, führt in Berlin eine Kunstwerkstatt, ist als Lehrbeauftragte an der UdK-Berlin und als Dozentin für Fort- und Weiterbildungen im Bereich ästhetischer Bildung tätig. Vier Jahre lehrte sie als Vertretungsprofessorin Kunstdidaktik in Berlin und Paderborn. Demnächst erscheint der dritte Band ihres Buches: Sinn und Eigensinn des Materials. Projekte, Anregungen, Aktionen beim Verlag das netz.
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Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 06-07/06 lesen.