Wenn Wasser läuft, wohin es will
Verschleiern dunkle Wolken an heißen Sommertagen die Sonne, breitet sich drückende Schwüle aus, dann ist das ein geeigneter Zeitpunkt, um einen die Luft reinigenden Gewitterregen mit Wasser und Farben auf Papier zu beschwören. – Petra Kathke hat es erlebt und berichtet.
Kinder im Vorschul- und Grundschulalter haben ihre eigenen Erfahrungen mit dem gleichermaßen beängstigenden wie faszinierenden Naturschauspiel eines Gewitters. Im gemeinsamen Gespräch unter freiem Himmel erinnern sie sich an graue Wolken, zuckende Blitze, Sturm und prasselnden Regen. Vor der Werkstatt strecken sie sich auf dem Boden aus, um die Formen der Wolken zu beobachten und sie mit Worten zu beschreiben und dahinschwebende Tiere oder Figuren in ihnen zu entdecken.
Ein großer Spiegel holt eine ferne Wolke herunter auf den Boden. Die Kinder berühren die Wolke mit den Fingern, zeichnen ihre Form nach oder deuten auf interessante Stellen. Noch hält die Wolke den Regen fest. Deshalb wollen wir mit Farben und Wasserspritzern ein wenig nachhelfen.
Was wir dafür benötigen ...
Malbretter, mindestens 60 x 80 Zentimeter groß, sind bereits mit Malpapier bestückt, das sich unter Wassereinfluss nicht allzu stark wellt, zum Beispiel Abschnitte von Tapetenrollen, mit der Rückseite nach vorn. Selbst Raufasertapete führt zu interessanten Ergebnissen. Wir haben das Papier mit Klebebandstreifen auf jedem Brett befestigt; es reicht in der Längsrichtung bis zum unteren Rand. Jedes Kind stellt nun sein Brett hochkant und mit ausreichendem Abstand zum nächsten schräg an eine Mauer oder die Hauswand. Lange Folien unter den Brettern schützen empfindliche Böden vor hinab rinnender Farbe und gestatten es, die Malaktion auch in der Werkstatt durchzuführen, falls es draußen tatsächlich zu stark regnet. Besonders aufregend ist es jedoch, einen warmen Sommerregen direkt in das Geschehen einzubeziehen.
Auf zwei bis drei Paletten haben wir größere Portionen weißer und kleinere Portionen schwarzer Farbe verteilt. Nach dem Gespräch, das die Vorstellung der Kinder anregte, beginnen alle mit dicken Borstenpinseln die ersten zart-grauen, zunehmend sich verdunkelnden und schließlich sogar tiefschwarzen Gewitterwolken im oberen Bereich ihrer Blätter zu malen. Beim Modulieren der Wolkenmassen mit einem oder mit zwei Pinseln vermischen sich Weiß und Schwarz ganz von selbst zu »gewittrigen Grautönen«. »Wenn Wolken aneinander stoßen, dann donnert es«, weiß Nils zu berichten und setzt den Zusammenprall zweier dicker Regenwolken malerisch um.
Zwölf kleine, farbgefüllte Plastikfläschchen mit abschraubbaren Portionierspitzen, die zum Beispiel für Haartönungen oder Holzleim verwendet werden, stehen bereit. Jedes Fläschchen wurde zur Hälfte mit Gouache-Malfarbe und zur anderen mit Wasser aufgefüllt. Kräftiges Schütteln ergibt eine verdünnte Farbe, die schon bei leichtem Druck aus der Spritzflasche läuft, wenn man diese schräg ans Papier ansetzt.
Charakteristische »Wasser«-Farbtöne – ein helles Blau, Grau, Violett oder Türkis – entstehen, wenn man zwei oder mehrere Farben zusammen schüttelt. Doch auch pure Grundfarben wie Weiß, Schwarz, Gelb oder Rot kommen zum Einsatz.
Neben den Farbfläschchen stehen wassergefüllte Sprühflaschen bereit – Blumenbefeuchter oder Haarlackflaschen –, mindestens eine für je zwei Kinder. Alte Lappen und einige Töpfe mit Wasser werden auch gebraucht. Einer von ihnen nimmt gleich die Pinsel auf, mit, mit denen die Regenwolken gemalt wurden.
Schon kann es losregnen!
Mit der Blumenspritze wird probeweise in die noch feuchte Wolkenmalerei gesprüht, und erste graue Tropfen rinnen das lange Papier bis zum Boden hinab.
Der Abstand zwischen Spritze und Papier ist wichtig, das merken die Kinder schnell. Damit tatsächlich ein feiner Tropfennebel die Farbe zerstäubt und sie nicht völlig wegschwemmt, müssen sie die Spritze viel weiter vom Papier weghalten, als anfangs gedacht.
Wie die Farben zu handhaben sind, das ist schnell abgeschaut. Jedes Kind greift sich zunächst eine Flasche und lässt ihren Inhalt an einer oder auch an zwei Stellen aus der Wolke rinnen – vorsichtig in einzelnen Tropfen oder als kräftiger Strahl. Die Wasserspritze wird eingesetzt, um solche Rinnsale gezielt voranzutreiben oder sie atmosphärisch aufzulösen.
Spannend wird es, wenn die zweite, dritte oder vierte Farbe zum Einsatz kommt. Dann verdichtet sich die Spur zum Regen, der seine Farbe ständig verändert. Nicht mehr einzelne Tropfen, sondern schillernde Farbströme fließen aus der Wolke zu Boden. Die Farben vermischen sich beim Ineinanderlaufen und beim gezielten Besprühen mit Wasser. Sie gehen ineinander über und lassen den Regen mal dunkel und grau, dann wieder geheimnisvoll violett oder orange-rot leuchten. Bei Wilma schimmert er türkis. Corinna versucht, ihn ganz in Rosa zu erzeugen. Nils bevorzugt die grau-braunen Farbtöne.
Dr. Petra Kathke, Kunstpädagogin und Kunsthistorikerin, führt in Berlin eine Kunstwerkstatt und ist als Lehrbeauftragte an der UdK Berlin sowie als Dozentin für Fort- und Weiterbildung im Bereich ästhetischer Bildung tätig.
Demnächst erscheint der dritte Band von Petra Kathkes »Sinn und Eigensinn des Materials. Projekte, Anregungen, Aktionen« im verlag das netz.
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