Formen legen mit Naturmaterialien
Es ist Frühsommer. Im Rahmen einer Fortbildung über Materialvielfalt im Atelier durchstöbern sechs Teilnehmer die Büsche in einem Park, der sich zwischen den Gebäuden der TU Berlin entlang zieht. »Sammelt Material, so viel und so unterschiedlich wie möglich«, erteile ich als Auftrag. Dabei bin ich mir unsicher: Ob man im grünen Monat Juni überhaupt genügend unterschiedliches Naturmaterial findet, um daraus etwas Künstlerisches zu machen? Sind nicht alle Blätter gleich grün?
Ein kleiner Park hat viele Orte. Hinter Eisenträgern finde ich runde, schöne Kiesel. Die schwarzen, knorrigen Zweige gibt es unter den großen Bäumen im Gebüsch, in das man nur gebückt gelangt. Und die hellgrünen Blüten? Sie blühen direkt vor uns auf der Wiese und gehören zu einer Pflanze mit fleischigen Blättern.
Jeder bildet aus seinen Funden einen kleinen Haufen. Wie individuell unterschiedlich das aussehen kann: Eine Teilnehmerin legt Stöcke parallel nebeneinander aus, sortiert große und kleine Steine. Die andere mag es, wenn die Blätter ordentlich gestapelt sind. »Verändert eure Ordnung, tragt die Dinge zusammen«, rege ich an. Werden ähnliche Materialien zusammengelegt, geschieht es wie von selbst, dass wir mit der Ästhetik zu spielen beginnen: Den dunkelgrauen Kiesel lege ich inmitten der hellgrauen Kiesel aus, das sieht gut aus.
Ich gebe eine Großform vor, in der die Materialien ausgelegt werden können. Der zufällig ausgewählte Kreis mit Innenkreis und Kreissegmenten, gelegt aus dünnen Stöcken, eignet sich gut: Er hat viele Einzelflächen, die mit jeweils einem oder zwei Materialien belegt werden können. In der runden Form lässt es sich gut arbeiten: Erst die Mitte gestalten, dann nach außen vordringen.
Eine Teilnehmerin benutzt den Begriff zuerst: Wir legen ein Natur-Mandala. Ein Mandala? Eigentlich sind solche Kreisbilder für mich ein Klischee schlechter Pädagogik: Unter dem Vorwand, etwas »Meditatives« aus einer anderen Kultur zu vermitteln, soll der endgültige Rausschmiss zweier grässlicher Dinge aus der Arbeit im Kindergarten verhindert werden: Ausmalblatt und Stillarbeit. Aber hier, bei unserem Natur-Mandala, kann man die missbrauchte Kreisform so erleben, wie sie wohl gedacht ist: Es macht ruhig und meditativ, einfach nur Kastanien, Blätter, Steine und Stöcke, Sand und Erde auszulegen, zu betrachten und umzusortieren..
Erwachsene suchen in der Kunst immer den Sinn und finden ihn gerade deswegen nicht. Was soll das Kunstwerk darstellen, fragen freundliche Menschen, die bei uns stehenbleiben, weil sie unsere Legearbeit sie aus ihren Gedanken beim Gang durch den Park gerissen hat. »Es sieht irgendwie traurig aus«, sagt ein Mann mit russischem Akzent, nachdem er unser Treiben bestimmt zehn Minuten lang von der nahegelegenen Bank beobachtet und unser Natur-Mandala betrachtet hat. Andere Spaziergänger fragen: »Woher habt ihr jetzt bloß die Kastanien und all die bunten Blätter?« Als wir antworten, dass wir all unser Material im engen Umkreis gesammelt haben, stutzen die Leute. Aufmerksam werden für Dinge, die wir sonst nicht wahrnehmen, obwohl sie um uns sind: Ist das allein nicht schon Sinn genug?
Micha Fink
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 08-09/07 lesen.