Köcherfliegen – unscheinbare Baumeister
Es gibt kaum einen Lebensraum, in dem nicht eine riesige Zahl kleiner und kleinster Tiere zu finden ist – und dennoch wissen wir über sie und ihr Leben nur sehr wenig. Nur selten kennen wir ihre Namen, und noch weniger wissen wir über ihre Rolle und Bedeutung in ökologischen Zusammenhängen. Viele Kinder interessieren sich aber für die Welt der Kleinlebewesen. Deshalb stellt Herbert Österreicher verschiedene und höchst bemerkenswerte Vertreter der wichtigsten zoologischen Gruppen vor. Die Serie begann in Heft 10/06.
Biologie und Ökologie
Auf den ersten Blick ähneln Köcherfliegen verschiedenen Kleinschmetterlingen. Da sie überwiegend grau, schwarz oder braun gefärbt sind und meist erst bei Einbruch der Dämmerung aktiv werden, sind sie sehr unauffällig und werden leicht mit Mücken oder kleinen Fliegen verwechselt. Es handelt sich bei diesen Tieren aber um eine eigene und ziemlich große Insekten-Ordnung: Weltweit soll es über 10.000 Arten geben; allein in Mitteleuropa werden 300 verschiedene Arten unterschieden. Ihr Körper ist meist 10 bis 30 Millimeter lang, sie haben schlanke Beine mit feinen Dornen und Spornen. Es gibt aber auch Arten, die nur 2 Millimeter groß werden.
Der wissenschaftliche Name dieser Tiere ist Trichoptera. Er bezieht sich auf die Gestalt der behaarten Flügel und stammt aus dem Griechischen: trichos = Haar und pteron = Flügel, die im Gegensatz zu den Flügeln der Schmetterlingen in der Ruhestellung immer dachförmig gefaltet sind. Einprägsamer ist der deutsche Ordnungsname: Köcherfliegen. Die Tiere werden so bezeichnet, weil sie im Larvenstadium köcherähnliche Wohnröhren bauen, in denen sie sich später verpuppen und damit ihre Entwicklung zum fertigen Insekt (Imago) abschließen. Davon später mehr.
Köcherfliegen lieben Gewässer wie Bäche und kleine Flüsse, Quellen und Tümpel. Sie entfernen sich nur selten aus diesem Lebensraum. Deshalb lassen sich einzelne Köcherfliegenarten nach dem jeweils bevorzugten Gewässertyp unterscheiden.
Ihre Nahrung besteht aus den Ausscheidungen von Blattläusen, dem so genannten Honigtau, und Pflanzensäften. Vielfach nehmen die erwachsenen Tiere in ihrer kurzen Lebenszeit von ein bis zwei Wochen aber auch nur Wasser zu sich. In dieser Zeit paaren sie sich, wobei die Partner mit abgewandten Köpfen in gerader Richtung hintereinander sitzen.
Zur Eiablage lassen die Weibchen mancher Arten die Eier während des Tiefflugs ins Wasser fallen. Andere Arten legen ihre Eier an Gräser, Blätter oder Äste, die sich über die Wasseroberfläche neigen, so dass die schlüpfenden Larven in ihr künftiges Wohngewässer fallen. Es gibt aber auch Arten, deren Weibchen zur Eiablage ins Wasser tauchen und ihre Gelege an Steine oder Wasserpflanzen kleben.
Aus den Eiern entwickeln sich kleine, langgestreckte Larven, die sofort eine schützende Wohnröhre um ihren weichen und verletzlichen Hinterleib, den Köcher, bauen.
Die meisten Wohnröhren bestehen aus Sandkörnern, kleinen Steinchen oder Schilfteilchen, die mit einem speziellen Speichelsekret zu Röhren verklebt werden. Auch Zweigstücken, leere Schnecken- oder Muschelschalen, Teile grüner oder welker Blättchen und Grashalme dienen als Baumaterial. Manche Köcherfliegenarten lassen sich anhand der Struktur dieser Larvenbauten bestimmen. Generell ist die Artbestimmung bei dieser Tiergruppe aber so schwierig, dass sie nur erfahrenen Spezialisten gelingt.
Während die fertigen Tiere (Imagines) außerhalb des Wassers leben, halten sich ihre Larven ausschließlich unter Wasser auf. Sie besitzen fransenartige Tracheenkiemen, die ihnen die Atmung ermöglichen. Die Köcher werden dabei stets mitgetragen und nie freiwillig verlassen. Bei Gefahr können sich die Larven vollständig in die Köcher zurückziehen. Wenn die Larven wachsen, fügen sie am vorderen Ende der Köcher Material an und entfernen die älteren, zu engen Teile am hinteren Ende.
Die Nahrung der Tiere besteht in dieser Lebensphase aus Detritus – das sind organische Schwebstoffe im Wasser, zum Beispiel abgestorbene Zellen –, Algen, Kleinkrebsen und anderen Insektenlarven, die mit Hilfe der Mundwerkzeuge zerlegt werden können. Manche Köcherfliegenlarven spinnen aus den Fäden ihres Speichelsekrets Fanggewebe, um zusätzlich Beute zu machen.
Nach fünf bis sechs Häutungen beginnt die letzte Phase der Larvenentwicklung, die Verpuppung, die im nun ganz geschlossenen Köcher oder einer eigenen Puppenhülle stattfindet. Die Puppe ist beweglich, schwimmt nach einiger Zeit an die Wasseroberfläche und beißt mit ihren großen Mundwerkzeugen (Mandibeln) die Hülle auf, damit das jetzt voll entwickelte Insekt schlüpfen kann.
Große Ähnlichkeit mit den Köcherfliegen haben die Stein- oder Uferfliegen (Plecoptera, vom griechischen plec = längs flach gefalteter Fächer und pteron = Flügel). Mit etwa 2.200 Arten weltweit, von denen über 100 in Mitteleuropa vorkommen, bilden auch sie eine wichtige Insektenordnung. Die fertigen Insekten (Imagines) werden mit bis zu 40 Millimeter Körperlänge etwas größer als die der Köcherfliegen, ihre Flügel sind in der Ruhestellung aber flach über dem Körper gefaltet.
Besser unterscheiden lassen sich die Larven der Uferfliegen: Sie leben frei im Wasser und entwickeln sich im Lauf mehrerer Jahre zu mehreren Zentimeter langen Tieren mit zwei (!) auffallend langen Hinterleibsanhängen. Ähnlich wie die Köcherfliegen findet man die erwachsenen Stein- oder Uferfliegen stets in der Nähe bestimmter Gewässer.
Auch die Vertreter einer weiteren Insektenordnung können mit den Köcherfliegen leicht verwechselt werden. Es handelt sich um die Eintagsfliegen (Ephemeroptera, vom griechischen ephemeros = eintägig und pteron = Flügel). Diese urtümlichen Insekten, die es bereits seit über 200 Millionen Jahre gibt, besitzen besonders große Vorderflügel, während das zweite, hintere Flügelpaar oft nur unscheinbar klein ausgebildet ist. Außerdem können die Tiere ihre Flügel in der Ruhestellung nicht auf den Hinterleib legen, sondern halten sie hochgeklappt über dem Rücken. Typisch für die frei im Wasser lebenden Larven der Eintagsfliegen sind ihre drei (!) Hinterleibsfäden, wodurch sie sich von den Larven der allermeisten Uferfliegen leicht unterscheiden lassen.
Die Bezeichnung »Eintagsfliege« bezieht sich auf die kurze Lebensdauer der erwachsenen Tiere (Imagines): Es sind nur ein bis höchstens vier Tagen, manchmal sogar nur wenige Minuten. In dieser Zeit geht es ausschließlich um die Begattung und Eiablage. Nach der letzten Häutung der Larven zu den fertigen Insekten entstehen häufig große Schwärme männlicher Eintagsfliegen. Weibliche Tiere fliegen in diese Wolken und werden von den Männchen ergriffen. Die Paarung erfolgt im Flug. Anschließend legen die Weibchen die Eier ins Wasser von Flüssen und Bächen, seltener in Stillgewässer wie Tümpel oder Teiche. Dort entwickelt sich dann die nächste Generation, wobei das Larvenstadium bis zu vier Jahren dauert.
Kulturgeschichte
Erst in jüngerer Zeit hat man erkannt, dass Insekten wie Köcher-, Ufer- und Eintagsfliegen im Nahrungsnetz unserer Gewässer große Bedeutung besitzen. Sie stellen die Hauptnahrung zahlreicher größerer Tiere wie Fische oder Wasservögel dar. Künstliche Nachbildungen dieser Insekten werden deshalb auch von Anglern als Köder bei der Fliegenfischerei benutzt.
Ökologische Untersuchungen der Gewässergüte stützen sich heute auch auf das Vorkommen dieser Insekten, die dadurch zu »Zeigertieren« geworden sind: Da die Larvenentwicklung bei den meisten Arten nur in wenig belasteten Gewässern erfolgen kann und zudem mehrere Jahre dauert, kann man vom Vorkommen der Larven unmittelbar auf die Wasserqualität oder etwaige Verunreinigungen schließen. Weil sich die Ansprüche an den Lebensraum bei verschiedenen Arten unterscheiden können, ist es für die genaue Analyse wichtig, die gefundenen Tiere so genau wie möglich zu bestimmen – eine mitunter nicht leichte Arbeit. Dennoch lassen sich vielleicht drei Grundregeln der biologischen Wasseruntersuchung formulieren:
- Je mehr unterschiedliche Insekten und Insektenlarven an und in einem Gewässer gefunden werden, desto eher hat man es mit einem wenig belasteten und ausgewogenen Lebensraum zu tun.
- Reichliches Vorkommen von Köcher-, Ufer- und Steinfliegenlarven weist auf relativ hohen Sauerstoffgehalt des Wassers und geringe Verschmutzung durch Schadstoffe, Düngemittel und andere Fremdstoffe hin.
- Da die Larven der Ufer- oder Steinfliegen auf Verunreinigungen von Gewässern in der Regel weit empfindlicher reagieren als Köcher- und Eintagsfliegenlarven, gehören sie stets zu den ersten Opfern, wenn sich die Wasserqualität verschlechtert.
Bei diesen Aussagen ist allerdings zu berücksichtigen, dass es selbstverständlich auch Gewässer gibt, in und an denen manche dieser Insektenarten natürlicherweise nicht vorkommen: Aufgrund der Entstehungsgeschichte eines Gewässers, seiner geografischen Lage und der jeweiligen Ufervegetation findet stets ein bestimmtes Artenspektrum dort seinen Lebensraum. Es wird aber vermutet, dass zahlreiche Steinfliegenarten noch bis zu den Anfängen der Industrialisierung im 19. Jahrhundert an den großen Flüssen Mitteleuropas lebten. Als die ersten Naturforscher begannen, diese Gewässer und ihre Tiergesellschaften näher zu untersuchen, hatten sich die Lebensbedingungen für die Larven aber bereits derart verschlechtert, dass die empfindlicheren Arten nicht mehr aufzufinden waren. Zwar werden zur Reinhaltung unserer Gewässer heute große Anstrengungen unternommen, dennoch kommt es nach wie vor durch dichter werdende Besiedlung und verschiedene wirtschaftliche Aktivitäten des Menschen zu Verschmutzungen oder zur Zerstörung dieser Lebensräume.
Umweltbildung
Für Kinder sind Ausflüge an einen Bach oder See immer ein Erlebnis. In vielen Fällen bietet es sich an, den Aufenthalt an solchen Orten mit einem »Forschungs- und Entdeckungsprojekt« zu verbinden. Das beginnt mit einfachen Fragen, die den Blick rasch auf die Besonderheiten eines Naturraums lenken: Wie könnte dieser Tümpel entstanden sein? Woher kommt dieser Bach? Welche Steine lassen sich im Bachbett finden? Tiere kennen zu lernen, die in und an einem Gewässer leben, ist für Kinder besonders interessant. Allerdings ist das etwas schwieriger als bei Gesteinen oder Uferpflanzen. Doch eine Möglichkeit, im Wasser lebende Kleintiere an einem gut zugänglichen Uferabschnitt zu erforschen, erfordert wenig Aufwand: Mit kleinen Keschern, die in jedem Zoobedarf erhältlich sind, können Kinder diese Tiere fangen und sie zum Betrachten in Kübel oder größere Schalen setzen. Später werden sie selbstverständlich wieder zurück ins Wasser gegeben. Um sie nicht zu verletzen oder anderweitig zu schädigen, sind vor allem drei Dinge zu beachten:
- Die Sammelgefäße sollten vor Beginn des Kescherns mit ausreichend Wasser aus dem jeweiligen Bach oder Tümpel gefüllt werden, um die gefangenen Tiere sofort in ihr Wasser setzen zu können.
- Um zu vermeiden, dass das Wasser in den Behältern sich zu rasch erwärmt, sollten sie, wenn möglich, immer im Schatten stehen und abgedeckt werden.
- Die Tiere sollten nicht länger als etwa eine halbe Stunde in den Gefäßen gehalten werden, da der Sauerstoffgehalt in geringen Wassermengen relativ rasch abnimmt und empfindlichere Tiere dadurch sterben können.
Mit wenigen Hilfsmitteln und etwas Geschick können Kinder selbst Gefäße bauen, die größere Wassermengen fassen und sich besser zum Beobachten gefangener Wassertiere eignen. Aus kleinen, hochwandigen Gemüse- oder Obstkisten lassen sich Miniaquarien bauen, indem Boden und Wände der Kisten als stabile Rahmen genutzt werden. In die Seitenwände hochwandigen Kisten können »Fenster« geschnitten werden. In niedrige Kisten werden Rahmen, aus Brettchen oder Sperrholz zusammengebaut, gestellt.
Nachdem alle Teile – notfalls mit etwas Paketklebeband – gut miteinander verbunden sind, setzt man eine durchsichtige, reissfeste Plastiktüte in die Kiste. Wenn sie mit Wasser gefüllt wird, sollte die Tüte an den Wänden überall gut anliegen. Damit sie nicht verrutscht, kann sie am oberen Rand befestigt werden. Nun kann die Suche nach Wassertieren beginnen, denn je nach Größe des Aquariums und Außentemperatur bleibt das Wasser einige Zeit kalt genug, so dass die Tiere keinen Schaden erleiden.
Während sich Kistenaquarien gut für den Einsatz im Gelände eignen – das Material ist kostengünstig und leicht zu transportieren –, sind Binokulare nur im Haus einsetzbar. Wo die Möglichkeit besteht, diese Geräte zusätzlich zu Handlupen einzusetzen, sollte man nicht darauf verzichten: Vergrößerungen um das 30- bis 45-fache ermöglichen den Blick auf Details des filigranen Körperbaus der Tiere und machen Kindern erst wirklich bewusst, wie wunderbar die Vielfalt ihrer Formen und wie verletzlich diese Lebewesen sind.
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 10-11/07 lesen.