Vollwert-Mittagessen für hundert Kinder
Jeden Morgen führt Janas Weg direkt in die Küche. Die Fünfjährige kommt täglich schon um 7.30 Uhr im Kindergarten, denn ihre Eltern haben lange Anfahrtswege zur Arbeit. In den meisten Gruppenräumen ist es dann noch ruhig, doch in der Essdiele gibt es Tee und was zu knabbern.
Aber Jana hat schon gefrühstückt. Sie will nachschauen, was Gaby Späte macht, und – wenn möglich – mitmachen. Die Küchenchefin bereitet das Frühstücksbüffet vor. Rohkost gehört dazu.
Jana kennt die Küchenregeln: Hände desinfizieren und Schürze umbinden. Sie greift nach dem bereitliegenden Schäler, nimmt sich eine Möhre und versucht, sie zu schälen.
Zurück zur Küche…
Die Küche ist das Herz jedes Hauses. Dort ist es warm, es riecht gut, und es gibt immer was zu tun. Doch im vergangen Jahrzehnt haben viele Kindergärten dieses Herz verloren: Unter dem Druck von Sparplänen wurde Personal abgebaut und die Versorgung auf Catering umgestellt. Den Kalkulationen und ihren Einspareffekten hatten Kitas wenig entgegenzusetzen.
Inzwischen holen sich viele Teams ihre Küchen wieder zurück, weil sie die Erfahrung machten, dass sie sich die kurzfristigen Einsparungen mit einer Fülle von Qualitäts- und Organisationsproblemen erkauften, die mittelfristig auch Geld kosten.
Eine Kita, die sich dem Trend zum Outsourcing von vornherein widersetzt hat und in der seit 14 Jahren täglich frisch für hundert Kinder gekocht wird, ist die Kindertagesstätte Bünningstedt in Schleswig-Holstein, kurz: KiTaBü.
… mit dem Förderverein
Als Marion Tielemann 1993 die Leitung der Einrichtung übernahm, war Kochen überhaupt nicht vorgesehen. Durch Um- und Anbau war die Zahl der Plätze von 30 auf 80 gestiegen, ein Ganztagsangebot sollte gestartet werden. In der nagelneuen Kita fand die angehende Leiterin eine Teeküche vor, nicht größer als 8 Quadratmeter. Etwas anderes als fertig geliefertes Essen konnte sich die Kommune, der Träger, nicht vorstellen. Aber sie hatte ihre Rechnung ohne Marion Tielemann gemacht. »Ich kann doch Kinder nicht täglich aus Warmhaltekübeln und mit Folienessen ernähren«, empörte sich die fünffache Mutter und dreifache Großmutter, die es gewöhnt ist, in großen Töpfen zu rühren. Sie vergeudete ihre Zeit nicht mit Diskussionen, sondern nahm die Sache selbst in die Hand und rief einen Förderverein ins Leben, dessen einziger Zweck »täglich frisch gekochtes Essen in der KiTaBü« war.
Eine Mutter, die bereit war, das Einkaufen und Kochen zu übernehmen, fand sich schnell. Sie wurde als »geringfügig Beschäftigte« vom Förderverein angestellt. Eine Vertretungskraft, die bei Bedarf einspringen konnte und stundenweise bezahlt wurde, war auch mit von der Partie.
Anfangs wurde für 20 Kinder kocht. »Qualität ist oberstes Gebot. Alle Zutaten werden grundsätzlich frisch eingekauft, Konserven verwenden wir nicht. Obst und Gemüse kaufen wir, wenn irgend möglich, aus ökologischem Anbau. Das Fleisch, das einmal wöchentlich auf dem Speiseplan steht, ist aus biologischer Erzeugung. Kartoffeln kommen vom Bio-Bauern«, erläutert Marion Tielemann die Grundsätze der Küche.
Wo ein Wille ist…
Den Kindern schmeckte es, die Eltern waren begeistert. Die Nachfrage nach Ganztagsbetreuung und Mittagessen stieg kontinuierlich – heute wird täglich für hundert Kinder gekocht. »Für berufstätige Eltern ist es beruhigend zu wissen, dass ihre Kinder im Kindergarten das bekommen, was sie selbst an den Tagen, an denen sie arbeiten, nicht schaffen«, weiß die Leiterin.
Doch bis dahin war es ein langer Weg, weder einfach noch konfliktfrei. Das KiTaBü-Team und der Förderverein paukten alle Hygieneregeln und achteten penibel auf die Einhaltung: getrennte Kühlschränke für Milch- und Fleischprodukte, Gesundheitszeugnisse, täglich Proben einfrieren, die Liste war lang... Das Gesundheitsamt kontrollierte und machte Auflagen – zwischen Küche und Essdiele musste eine Schiebetür eingebaut werden –, fand aber nicht wirklich etwas zu beanstanden. »Was sollte ausgerechnet das Gesundheitsamt gegen gesundes, frisch gekochtes Mittagessen einzuwenden haben?« fragt Marion Tielemann lachend. Wo ein Wille ist, da ist ein Weg, selbst auf 8 Quadratmetern.
Inzwischen sind die Kapazitätsgrenzen erreicht. Drei Frauen arbeiten umschichtig in der Küche. Mittwochs und donnerstags, wenn Fleisch und Fisch zubereitet werden, sind sie zu zweit, und es wird ziemlich eng im Herz des Hauses. Eine Erweiterung der Küche ist in Planung, den Gang durch die politischen Gremien müssen die Pläne allerdings noch antreten. Doch von Catering redet im Gemeinderat niemand mehr; das Thema ist »gegessen«. Denn soviel ist klar: Selbst geliefertes Essen kostet die Arbeitszeit einer Verwaltungskraft, denn das Essengeld muss abgerechnet und eingezogen werden. Auch in der Kita ist es mit der reinen Anlieferung nicht getan: Essen ausgeben und Geschirr abräumen erfordert eine Hauswirtschaftskraft, will man für diese Tätigkeiten nicht die Arbeitszeit von Erzieherinnen beanspruchen. Von solchen festen Kosten ist die Gemeinde durch die Fördervereins-Lösung entlastet; die Verwaltungsarbeit leisten ehrenamtliche Mitglieder.
… schmeckt auch Fisch
Der Speiseplan hängt in Augenhöhe der Kinder. Große Bildsymbole zeigen, was auf den Teller kommt. So können die Kinder den Plan »lesen«.
»Dienstags und mittwochs esse ich in der Kitabü«, erklärt der fünfjährige Mario seinem Vater, nachdem er den Plan studiert hat, »der Fisch ist immer so lecker«. »Diesen Freitag hat Mama einen Termin«, erinnert ihn der Vater, »da können wir dich erst später abholen.« »Buchstabensuppe«, macht Mario sich kundig. »Gut, dann esse ich am Freitag auch hier.« »Ich melde dich jetzt für drei Tage zum Essen an«, sagt der Vater und lenkt seine Schritte zum Büro.
Zehn verschiedene Essenspläne wurden mit Hilfe einer Ökotrophologin nach den Grundsätzen vollwertiger Ernährung entwickelt. Nur etwa alle Vierteljahre wiederholt sich der Speiseplan. »Wir versuchen, so abwechslungsreich wie möglich zu kochen und den Kindern gleichzeitig durch rhythmisch wiederkehrende Ereignisse eine Orientierung im Tagesablauf zu geben«, erläutert Gaby Späte, die Küchenchefin. So ist montags immer Nudeltag, dienstags gibt es süßes Essen, Milchreis, Pfannkuchen oder Kartoffelpuffer, mittwochs ist Fischtag, am Donnerstag steht Fleisch auf dem Speiseplan, doch niemals Schweinefleisch, damit niemand dem Tisch fernbleiben muss. Außerdem ist die Beilage an dem Tag so reichhaltig, dass Kinder, die kein Fleisch mögen, auch eine vollwertige Mahlzeit bekommen. Freitags ist immer »Suppentag«.
Dass Fisch bei den Kindern Anklang findet, ist ein Erfolg von Geduld und Kochkunst. Die meisten Kinder kannten nur »Fischstäbchen« und konnten sich mit Fisch, der nicht quadratisch aussah, zunächst nicht anfreunden. Doch Marion Tielemann und Gaby Späte ließen nicht locker. Industriell vorgefertigten Fisch auf den Tisch bringen – nur wenige Dutzend Kilometer von Nord- und Ostseeküste entfernt? Nicht mit ihnen! Ein Mal pro Woche wurde frischer Fisch gekauft, in Backteig gebraten und als »Gabys Fischstäbchen« angeboten. Kinder, die dem Duft von Gebratenem nicht widerstehen konnten und probierten, fanden sich, jedes Mal mehr. Woche für Woche musste mehr Fisch bestellt werden, 8 Kilo werden jetzt jeden Donnerstag gebraten oder gekocht.
Von Zeit zu Zeit werden die Essenspläne überarbeitet. Die Alterspanne der Kinder reicht von zweieinhalb bis elf Jahre – da ändern sich die Geschmäcker und Bedürfnisse. So hatten die Hortkinder erklärt, dass sie Nudeln mit Tomatensauce – bei den Drei- und Vierjährigen ein Dauerhit – langweilig finden. Das war Anlass für die Überarbeitung der Pläne. Dabei wurden die Hortkinder als Essensberater konsultiert, und ihre Vorschläge wurden ernst genommen. Ergebnis: Montags wird zu den Nudeln außer einer roten Sauce auch Parmesan und Pesto angeboten. »Das macht nicht viel mehr Arbeit, kommt aber den älteren Kindern entgegen, die deftigeren Geschmack mögen«, erläutert Marion Tielemann. »Es ist doch klar, dass ein Drittklässler, der mit drei Jahren in die KiTaBü kam und jetzt als Hortkind hier isst, Abwechselung braucht.«
www.kitabue.de
Die Kindertagesstätte liegt im Ortsteil Bünningstedt der Gemeinde Ammersbek im Südosten des Bundeslandes Schleswig-Holstein an der Landesgrenze zu Hamburg.
www.kindergesundheit-info.de
Die Angaben, wie viele Kinder in Deutschland eine Lebensmittelallergie haben, schwanken zwischen 1 und 7,5 Prozent. Dabei sind es bei Säuglingen und Kleinkindern überwiegend Grundlebensmittel, die – wenn auch eher selten – allergische Reaktionen auslösen können.
Nähere Informationen unter > Für Eltern > Ernährung.
www.alles-zur-allergologie.de
Allergische Reaktionen auf Stoffe und Substanzen, mit denen jeder Mensch in Berührung kommt, zu erkennen, zu vermeiden oder zu behandeln, das ist eine Aufgabe, die zunehmende Bedeutung erlangt. Diese Seite bietet Detailinformationen.
www.blinde-kuh.de
Welche Speisen finden Kinder gut? Wo gibt es die Rezepte? Die »Blinde Kuh« bietet eine umfangreiche Seite zur »Kinder-Küche«. Einfach auf > Kochen im linken Menü klicken.
www.naturkost.de
Kochen gehört zu den nahrhaften Erlebnissen der Kindheit. Auch dabei kann Lernen Spaß machen. Dass Vollwertkost nicht langweilig schmecken muss, zeigt diese Seite, die ein vielseitiges »Kochbuch« mit vielen Hintergrundtipps und Rezepten bereit hält. Durchklicken über die Eingabe »Kinder« unter > Suchen & Finden > Themen.
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 12/07 lesen.