Wie sich die Kinder von Tinguely und Giacometti inspirieren ließen
In Brigitte Rametsteiners Linzer Kita-Gruppe wird Metall zum Projekt-Thema: 100 Möglichkeiten, die Vielfalt seines Vorkommens, Aussehens und seiner Eigenschaften zu erforschen.
Für meine Kindergartenkinder war der Schweizer Künstler Jean Tinguely kein Unbekannter, denn das Buch »Die Wunder-Plunder-Maschine« von Peter Stieger und Liliane Steiner, das 2005 im Atlantis Verlag erschien, stand in unserer Forscherbibliothek und war äußerst beliebt.
Im Kunsthaus Wien fand gerade eine Retrospektive mit 160 Arbeiten – Skulpturen, Modelle, Skizzen, Zeichnungen, Entwürfe, Plakate und Fotos – des Künstlers statt. Ich besuchte die Ausstellung und besorgte einige Publikationen, um den Kindern zu zeigen, dass Jean Tinguely auch viele andere bewegliche Skulpturen geschaffen hatte. »Alles, was statisch ist, verfällt – alles, was in Bewegung ist, bleibt. Das reflektieren meine bewegten Skulpturen: die Bewegung in der Stabilität«, schrieb er.
Dingen einen neuen Sinn geben
Wenn ein Gegenstand abgenutzt oder verbraucht ist, seine ursprüngliche Funktion erfüllt und ausgedient hat, findet er anderswo eine neue Verwendung und rückt wieder in den Mittelpunkt des Interesses. Auch bei uns passierte, was schon Picasso von Kindern gelernt hatte: Dingen eine neue Bedeutung, einen neuen Sinn geben.
Von Jean Tinguely inspiriert, begannen Mia, Ana und Anna, eine neue Wunder-Plunder- Maschine zu konstruieren – aus verschiedensten Teilen aller möglichen Geräte, die in unserer Experimentierwerkstatt zu finden waren und die Mädchen zerlegt hatten.
Das weckte das Interesse anderer Kinder. Anna und ihre Freundinnen hatten nichts dagegen, dass weitergebaut, verändert, gespielt wurde.
So richtig in Fahrt kam die Sache aber erst an einem schulfreien Tag, als uns Anas Bruder Nikola besuchte. Er geht in die dritte Klasse. Nun nahm die Wunder-Plunder-Maschine Gestalt an, es wurde um- und abgebaut, Neues kam hinzu: ein Ventilator, eine Uhr, ein Thermometer, Magnete, Antennen. Es wurde ausprobiert, gebogen, geschraubt, geklebt, gefädelt, angebunden, verglichen, überprüft, verstärkt… Immer wieder beteiligten sich andere Kinder, brachten ihre Ideen ein, und Nikola ließ sie gewähren.
Eigentlich baute jeder für sich am gemeinsamen Werk, und jeder fühlte sich eingeladen, mitzutun. Auf einmal waren Autos für manche Kinder nicht mehr so wichtig, dafür aber die Experimentierwerkstatt. Selbst Dreijährige, die sich sonst eher zurückhielten, machten mit.
Bei anderen Aktivitäten führte meist ein Kind »Regie« – hier nicht. Alle Ideen waren gefragt, ob es um die Materialauswahl, die Funktion eines Teils oder die Art und Weise seiner Befestigung ging. Bemerkenswert fand ich auch: Die Beiträge jedes Kindes, so unterschiedlich sie waren, durften nebeneinander (be-)stehen.
Nicht nur das »Bauwerk« wuchs, es wuchs auch das Interesse. Kinder aus anderen Gruppen, Mitarbeiterinnen, aber vor allem die Eltern nahmen regen Anteil. Immer wieder bekamen wir Gegenstände, die wir »vielleicht noch gebrauchen könnten«.
Die Kinder waren von ihrem Kunstwerk sehr angetan. Eine Zeitlang stand es in unserem Präsentierbereich. Als die Frage auftauchte, was später damit geschehen solle, meinten einige Kinder, wir könnten es im Skulpturenpark des Landesmuseums ausstellen. Dort würde es im Freien stehen, meinte ich. Da hatten die Kinder doch Bedenken und sagten, ich solle es mitnehmen, damit ich mich daran erfreuen könne, wenn ich nicht mehr im Kindergarten bin.
Kontakt
Brigitte Rametsteiner
Reisingerweg 4
A-4040 Linz
E-Mail:
www.tinguely.ch
Wer nicht die Möglichkeit hat, das Tinguely-Museum in Basel zu besuchen, kann sich auf dieser Seite einige seiner Werke online ansehen. Die Sammlung ist im Rhythmus der Jahrzehnte sortiert. Durchklicken über > Museum und Sammlung > Sammlung.
www.youtube.de
Unter dem Suchbegriff »Tinguely« finden sich interessante Videos über den »Meister der sinnlosen Bewegung«, unter anderem: die »Méta-Harmonie II« und »Welcome to the Machines of Tinguely«, unterlegt mit Musik von Pink Floyd.