Erfahrungen aus einem Modellprojekt in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern
Das Jahr 2013 ist zu einer Orientierungsmarke für die Entwicklung der Kita-Landschaft geworden, denn in diesem Jahr wird der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder von einem bis drei Jahren erweitert, und es sollen für mindestens 35 Prozent dieser Altersstufe Plätze vorhanden sein. Eine Herkulesaufgabe für die Vertreter des Deutschen Städtetages, weil der Bedarf und die Kosten unterschätzt werden. Als eine Herausforderung, der man sich stellen müsse, betrachtet es die Bundesregierung.
An der Diskussion um den Ausbau der Kinderbetreuung beteiligt sich auch das Projekt »Vielfalt für die Kleinsten«, das der Berliner Jugendhilfeträger »Jugendwohnen im Kiez gGmbH« initiierte und das von der Stiftung Deutsche Jugendmarke sowie den Ländern Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern unterstützt wird.
Barbara Leitner sprach mit der Projektleiterin Karin Lücker-Aleman.
Was ist das Anliegen des Projekts?
Das Modellprojekt möchte die Jugendverwaltungen bei der Gestaltung des Ausbauprozesses unterstützen und anregen, die vielfältigen Interessen- und Bedarfslagen von Familien durch zusätzliche und neue Angebote zu berücksichtigen. Nicht alle Familien mit jüngeren Kindern brauchen ein umfassendes Angebot zur Betreuung außerhalb der Familie. Aber sie wünschen sich Unterstützung bei der Bildung und Erziehung ihrer Kinder, und vor allem wollen sie sich darüber mit anderen Eltern austauschen können. So entstand die Idee, mit dem Ausbau der Kinderbetreuung ein vielfältiges Angebot an Bildung, Erziehung und Familien unterstützenden Diensten aufzubauen, das zum integralen Bestandteil der Kindertagesbetreuung wird.
Damit wäre die Ausweitung des Rechtsanspruchs auf Kinder unter drei Jahren nicht nur ein quantitatives Mehr, sondern würde auch die qualitative Ausweitung der Unterstützung von Familien in Kindertagesstätten ermöglichen. Uns geht es also darum, den unterschiedlichen Bedürfnissen der Eltern gerecht zu werden und die Angebote zur Unterstützung frühkindlicher Bildung und Erziehung über den Rechtsanspruch finanziell abzusichern.
Das Projekt startete unter dem Namen »Alternativen zum Krippenausbau denken« und änderte dann den Titel. Warum?
Der Titel »Alternativen zum Krippenausbau denken« provozierte und rief Widerstand hervor. Vor allem Krippenerzieherinnen befürchteten Konkurrenz, ein Entweder-Oder. Uns ging es aber um ein Sowohl-Als auch. Wir wollen die Ergänzung zur Krippe. Deshalb entschieden wir uns für den Titel »Vielfalt für die Kleinsten«.
Das Projekt startete in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Warum dort?
Diese Länder haben einen guten Betreuungsschlüssel, und alle Eltern, die arbeiten oder in Ausbildung sind, bekommen Betreuungsplätze für ihre Kinder. Es gibt aber viele Eltern, die mit kleinen Kindern zu Hause bleiben wollen oder nicht arbeiten gehen können, weil sie keinen Job finden. Sie finden in diesen Ländern nur wenige Angebote.
Für Kinder unter drei Jahren kannten Eltern in den östlichen Bundesländern früher nur die Krippe. In den zurückliegenden zwei Jahrzehnten öffneten sie sich für die Tagespflege. Unser Anspruch ist es, auch andere niedrigschwellige Angebote als hochwertiges Äquivalent zu etablieren. Deshalb wollen wir praktische Beispiele liefern, die Eltern die Gewissheit vermitteln: Die Angebote helfen bei der Erziehung und Bildung der Kinder ebenso wie bei der Lösung praktischer familiärer Probleme.
Die Debatte um frühkindliche Bildung und Entwicklung zeigt: In Krippe und Kita wird nicht nur betreut. Es gibt sie nicht nur, um Erwerbstätigkeit zu ermöglichen, sondern sie unterstützen Bildungsprozesse, die den Kindern auf ihren Lebenswegen zugute kommen. Diesen Bildungsauftrag kann man natürlich auch in anderen Angebotsformen erfüllen.
Bereits jetzt gibt es Eltern-Kind-Gruppen, Spielkreise und Krabbelgruppen. Sie helfen Eltern, für ihre Kinder da zu sein, soziale Kontakte zu knüpfen, sind eine zusätzliche Ressource, um das Familienleben zu gestalten, eine Form erlebter Erziehungs- und Bildungspartnerschaft und damit ganz elementar für die Entwicklung der Kinder.
Das Projekt bezog sich von Beginn an auf das Kinderförderungsgesetz von 2008. Danach wird der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für alle Kinder vom vollendeten ersten bis zum vollendeten dritten Lebensjahr gewährt. Sind diese Alternativen mit dem Rechtsanspruch vereinbar? Und wenn ja – unter welchen Bedingungen?
Natürlich sind die Angebote mit dem Rechtsanspruch vereinbar. Denn er besagt, dass ein Kind von einem Jahr an den Anspruch auf einen Betreuungsplatz in einer Kita oder in der Tagespflege hat. Wie die Eltern diese Möglichkeit ausschöpfen, bleibt ihnen vorbehalten. Sie können ihn auch durch das Angebot der Eltern-Kind-Gruppe oder eines Spielkreises einlösen. Damit diese Angebote den Rechtsanspruch erfüllen, müssen natürlich bestimmte Bedingungen eingehalten werden. Dazu zählt die Sicherung der pädagogischen Fachlichkeit. Außerdem müssen sie auf Dauer angelegt sein, und die Eltern-Kind-Gruppen müssen in den Kindertagesbedarfsplan integriert werden.
Können Eltern das Angebot frei nutzen? Müssen sie berufstätig oder in der Ausbildung sein?
Jeder, der berufstätig oder in Ausbildung ist, sollte und muss das Krippen- oder Tagespflegeangebot wahrnehmen können. Aber es gibt Eltern, gerade mit Kindern zwischen ein und zwei Jahren, die noch nicht arbeiten gehen wollen. Sie sagen: Unser Kind ist noch zu klein; wir wollen viel Zeit mit ihm verbringen. Dennoch wollen sie mit dem Kind nicht allein zu Hause sitzen.
In der Diskussion um das Betreuungsgeld vertreten wir, was Eltern anbelangt, den Standpunkt: Lebt eure Familienzeit aus; ihr braucht keine umfassende Betreuung, aber wir helfen euch. Wir bieten die Möglichkeit sozialer Kontakte und die Chance, andere Kinder kennenzulernen.
Ist die Vielfalt der Kinderbetreuungsangebote in den westlichen Bundesländern breiter als in den östlichen?
Nein. Im Westen bricht den Verantwortlichen der Schweiß aus, wenn sie überlegen, wie sie die Zielmarke von 35 Prozent bis 2013 erreichen sollen. Dort müssen Betreuungsplätze für Kinder geschaffen werden, deren Eltern arbeiten wollen. In den östlichen Bundesländern kann man die jetzt vorhandenen Gelder nutzen, um vielfältigere Angebote zu schaffen.
Wir sind dabei, mit Jugendämtern in den westlichen Bundesländern Kontakt aufzunehmen, um ihnen zu zeigen, wie sie die in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern vorliegenden Erfahrungen für die Ausgestaltung der Kita-Landschaft nutzen können. Allerdings können die westlichen Bundesländer auf ein Potenzial engagierter Eltern zurückgreifen, die Kinderläden und Eltern-Kind-Gruppen gründeten. Diese Möglichkeit gab es im Osten erst nach der Wende.
Das Projekt läuft seit anderthalb Jahren. Welche Erfahrung gibt es bisher?
Anderthalb Jahre sind für ein solches Modellprojekt eine kurze Zeit, zumal wir zunächst Bedenken bei Kitas, Trägern und Kommunen ausräumen mussten. Gerade jene, die wir für das Projekt gewinnen wollten, fragten uns, ob wir ein Sparprogramm umsetzen wollen. Das wandelte sich, als wir mit unseren Mitstreitern die enge Verbindung von Krippen, Eltern-Kind-Gruppen und un-terstützenden Diensten in den englischen Early Excellence Centres erlebt hatten. Seitdem setzen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den zehn beteiligten Einrichtungen ihre Ideen reflektierter um. Sie nehmen die Chance wahr, enger mit Eltern in Kontakt zu kommen.
Die Kitas bieten also nicht nur Kinderbetreuung an...
… sondern öffnen sich in die Nachbarschaft – hinsichtlich der Unterstützungsbedarfe der Eltern. Vor allem nehmen sie Eltern als Experten ihrer Kinder ernster. Erzieherinnen, die in den Eltern-Kind-Gruppen arbeiten, ändern ihren Blick auf die Familien. Eltern werden unmittelbar in pädagogische Prozesse einbezogen und ermutigt, das, was Kinder in der Kita lernen, zu Hause aufzugreifen.
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 04/11 lesen.