Ein Projekt im Kindergarten
Westheim bei Hammelburg. Eine Gemeinde am Ufer der fränkischen Saale, die sich durch ein beschauliches Tal schlängelt. In dieser ländlichen Idylle liegt der Kindergarten St. Peter und Paul. Er nennt sich Lernwerkstatt für Kinder.
Die Vorgeschichte
1970 wurde aus der alten Schule Westheims ein Kindergarten. Sieben Jahre später übernahm Maria Förster, eine ausgebildete Erzieherin, die Einrichtung, die damals 20 Kinder besuchten. Bald brachte ein neues Baugebiet im Ort mehr Kinder, die sich die Plätze nun teilen mussten.
Als die Mieter auszogen, die im ersten Stock des Gebäudes wohnten, beantragte der Trägerverein bei der Stadtverwaltung die Erweiterung der Kita. Die Stadt genehmigte den Antrag, der Kindergarten belegte auch das Obergeschoss und wurde zweigruppig.
»Das war der Beginn unserer Öffnung, die sich über viele Jahre hinzog«, erzählt Maria Förster, »denn wir überstürzten nichts. Wenn es uns mit einer Sache gut ging, behielten wir sie bei. Was nicht passte, veränderten wir. Zum Beispiel führten wir altershomogene Gruppen ein, die zwar Bestandteil der Reggio-Pädagogik sind, aber wir taten das nicht wegen Reggio. Als wir zweigruppig waren, hatten wir pro Gruppe 25 Kinder, also insgesamt 50 Kinder, die das ganze Haus nutzen konnten. Nach dem täglichen Morgenkreis mit allen Kindern gingen jeweils 25 Kinder in ihre Stammgruppen zu Erzählrunden in kleinen Morgenkreisen. Das war nicht zufriedenstellend für uns und sicherlich auch nicht für die Kinder, denn wir mussten die Kleinen immer auffordern: ›Bleib sitzen, gleich sind wir fertig. Sei still, zapple nicht…‹ In der Kinderkonferenz sagte ich deshalb: ›Mir gefällt das mit den Morgenkreisen nicht. Ständig muss ich jemanden ermahnen…‹ Da meinte Pascal, der heute in die 9. Klasse geht: ›Machen wir es doch so: Die Kleinen bleiben unten, die Mittleren gehen in die Mitte und die Großen nach oben.‹ Damals hatten wir das Dachgeschoss des Hauses schon als Atelier und Holzwerkstatt ausgebaut. Deshalb kam Pascal auf diese Dreiteilung. Wir probierten aus, was er vorgeschlagen hatte, und blieben dabei. So kamen wir zu den altershomogenen Gruppen.
Bei einer Fortbildung zur Offenen Arbeit sagte Regina Braun zu uns: ›Man muss nicht alles mit allen machen.‹ Diesen kurzen Satz vergesse ich nie, er wirkte wie eine Initialzündung. Von unseren lästigen Monats- und Jahresplänen rückten wir ab und guckten, was die Kinder interessiert. Interessierte sich eine kleine Gruppe für etwas, machten wir das mit dieser kleinen Gruppe. So kamen wir zu unseren Projekten und hatten immer mehrere Themen im Haus. Das ging gar nicht mehr anders.«
In dieser Zeit fand Maria Förster in der Zeitschrift klein&groß den Beitrag »Ein Vergnügungspark für Vögel« – der Bericht über ein Projekt, das in einem Kindergarten in Reggio Emilia entstanden war. Sie fühlte sich bestätigt und sagte zu ihrem Team: »Schaut euch das mal an. Das ist doch wie bei uns!«
Literatur über die Reggio-Pädagogik war hierzulande damals dünn gesät, die Fachzeitschriften nahmen gerade erst Notiz von diesem Phänomen. Also mach-te sich Maria Förster auf die Socken, fuhr nach Reggio und guckte sich alles an. Wieder fühlte sie sich bestätigt.
»Wir hatten ein offenes Haus, die Stammgruppen – heute nennen wir sie Bezugsgruppen – entstanden auf Anregung von Pascal: oben, in der Mitte und unten«, rekapituliert Maria Förster. »Eines Tages kamen die Nestkinder dazu. Die hatten wir vorher nicht. Jetzt sind 48 Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren bei uns und zwölf Kinder, die jünger als drei Jahre sind. Das jüngste Kind ist sieben Monate alt.
Im Team sind wir zu neunt, einschließlich einer Praktikantin und der Köchin, die nicht nur lecker kocht, sondern auch wunderbar mit Kindern umgehen kann. Etliche Kolleginnen haben Teilzeitstellen.«
Die schönsten Projekte
»Die schönsten Projekte sind die, über deren Themen ich kaum etwas weiß und mit den Kindern auf Entdeckungsreise gehen kann«, findet Maria Förster. »Beim Bakterien-Projekt war es auch so, denn von Bakterien hatte ich keine Ahnung. Hat man keine Ahnung, kann man nicht belehrend eingreifen. Man weiß ja nichts. Das ist das Schöne.«
Natürlich beginnt die Leiterin irgendwann, sich über das Thema zu informieren, verlässt sich aber vor allem auf das, was sie sieht und hört. Sie meint: »Es braucht nicht die vielen Beobachtungsbögen. Wenn wir intensiv auf die Stärken der Kinder schauen, wissen wir automatisch auch, was sie nicht können. Doch das wird trotzdem nicht ständig geübt. Stellen Sie sich mal vor, Sie sind total unmusikalisch und sollen immer singen! Da kommt Freude auf, was? Dabei sind Freude und Lust doch die Motoren kindlichen Tuns und damit auch des Lernens. Wir gucken, was die Kinder machen. Und vor allem: Was machen sie gern? Sie müssen doch motiviert sein! Sind sie das, läuft ein Projekt von ganz allein. Sie bringen so viel mit, dass wir sie nur begleiten müssen. Das ist Bildung in Ko-Konstruktion – mit Erwachsenen, mit Kindern und den Dingen der Welt.«
Natürlich bringen die Kolleginnen manchmal etwas mit – ein Buch oder einen Gegenstand, von dem sie denken, er könne die Kinder interessieren. Ob das der Fall ist und welche Richtung ein Projekt überhaupt nimmt, das bestimmen die Kinder. »Ich beobachte sie, und dafür lasse ich mir Zeit«, sagt Maria Förster. »Es schreibt uns ja keiner vor, wann etwas beginnen und wann es fertig sein muss. Wir können die Neugierde der Kinder – und sie sind alle neugierig – nutzen. Tun wir das, können wir nichts falsch machen.«
Schimmel und Bakterien
2011, das Jahr der Chemie, brachte »Schimmel und Bakterien« in den Kindergarten. Was für ein Zufall!
Alles begann vollkommen unspektakulär: In der Holzwerkstatt fand sich neben vielerlei anderem Werkzeug auch eine Reibe, ein Küchenutensil. Mit dieser Reibe zerkleinerten die Kinder gern alles, was sich zerkleinern ließ, zum Beispiel weiche Holzstückchen aus dem Modellbau. Manchmal ergaben sich dabei Spiele, zum Beispiel »Düsenjäger«.
Jonas: »Das Sägemehl ist der Diesel für den Düsenjäger.«
Jakob: »Öl ist es auch, sonst bleibt das irgendwann hängen.«
Mika: »Wir brauchen einen Tank für das Benzin und einen für das Öl. Wie kann man denn sehen, was Öl ist und was Benzin ist?«
Maria Förster gab den Jungen Farbpigmente, um Gemische herzustellen, die man unterscheiden kann, und brachte eine alte Kaffeemühle mit – ein neues Zerkleinerungsutensil.
Als das »Düsenjäger«-Spiel längst vergessen war, rieben und mahlten die Kinder immer noch. Selbst Klopapierrollen verschonten sie nicht.
»Wir Erwachsene meinen, das seien unnütze Tätigkeiten«, sagt Maria Förster. »Aber nein! Wenn die Kinder sich stunden- und tagelang damit beschäftigen, Durchhaltevermögen ohne Ende beweisen, dann ist es interessant für sie – egal, was wir Erwachsene meinen. Hauptsache, wir stören nicht. Früher hätte ich vielleicht gesagt: Was macht ihr denn da für Quatsch! Ich hatte es auch nicht anders gelernt…«
Schließlich wurden Gemische zum Renner. Alles, was zerkleinert war und sich mit Wasser mischen ließ, wurde benutzt: Holz- und Kastanienmehl, Getreidemehl... Eines Tages sagten die Kinder vorwurfsvoll: »Es gibt keine Linsen mehr.« Erst verstand Maria Förster nicht, worauf sie hinauswollten. Dann stellte sich heraus, dass sie ins Erdgeschoss zu den Kleinen gepilgert waren und deren Linsenbad geplündert hatten, bis Carolin, die Erzieherin der Jüngsten, sagte: »Jetzt ist Schluss! Es gibt keine Linsen mehr.« Also beschwerten sie sich bei der Leiterin, und die kaufte neue Linsen ein.
Irgendwann sagte jemand: »Hier stinkt es…« Das waren die Gemische. Sie standen schon seit Tagen im Atelier.
www.schimmel-schimmelpilze.de
Das notwendige Hintergrundwissen zum Thema bietet diese Website. Denn wenn eine Schimmelpilzkonzentration ein bestimmtes Maß übersteigt, kann es zu schwerwiegenden gesundheitlichen Problemen für den Menschen kommen.
www.zzzebra.de
Ideen und Experimente rund um Bakterien, Schimmel und andere interessante Phänomene. Haben Sie schon mal Bakterien oder Pilzen bei der Arbeit zugesehen? Natürlich nicht, denn sie sind ja viel zu klein. Ein Hefe-Ballon, selbst angelegter Kompost oder selbstgemachter Joghurt versprechen neue kreative Perspektiven. Einfach »Bakterien« in die Suchmaske eingeben.
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 03/12 lesen.