Schwarz gekleidete Männer, Frauen mit einer großen Kinderschar, koscheres Essen, Gebete, die von rechts nach links gelesen werden, und Tage, an denen man elektrisches Licht nicht einschalten darf – orthodoxe jüdische Familien leben in einer eigenen Welt. Und doch wohnen sie in ganz normalen Mietshäusern, die Kinder treffen beim Spielen auf nicht-orthodoxe Altersgefährten.
Nora Northmann begab sich auf die Suche nach Trennendem und Verbindendem.
Daniel (38) kommt angeradelt, sein offener schwarzer Mantel weht im Wind. »Ist meine Frau noch nicht da?« fragt er und er führt uns in die Wohnung. Nein, die Schuhe können wir anbehalten.
Das große Wohnzimmer ist zur Hälfte Spielfläche für die Kinder. Auf einem langen Tisch liegen Stifte, Zeichnungen, Holzbausteine und eine Spielzeug-Thora. »Entschuldigung, hier liegt viel herum«, sagt Daniel, »so ist das mit drei Kindern.«
Daniela (35) hat die Kinder vom Kindergarten abgeholt. Die hochschwangere Frau trägt Shira (2) auf dem Arm. Ephraim (4) kommt gleich zu uns ins Zimmer, Chana (6) ziert sich noch ein wenig. »Kinder sind das, was bleibt«, sagt Daniela. »Selbst ein Bankdirektor ist eines Tages alt und allein, wenn er keine Kinder hat.« Auch deshalb haben sich die Eltern, die nicht aus kinderreichen Familien stammen, für drei und bald vier Kinder entschieden. Vielleicht werden es sogar noch mehr. Zehn Kinder sind in jüdisch-orthodoxen Familien keine Seltenheit: Seid fruchtbar und mehret euch, lautet das religiöse Gebot. »Aber die Kinderzahl muss emotional stimmen«, findet Daniela, »und es muss gut sein für alle.« Verhütung ist daher kein Tabu.
Wie bei orthodoxen Juden üblich, wurde die Ehe arrangiert. So weiß man, aus was für einer Familie der potenzielle Partner kommt. Aber, so betonen beide, Druck werde nicht ausgeübt: Man kann suchen, bis man sicher ist, den Richtigen oder die Richtige gefunden zu haben. Zwar gibt es bezahlte Vermittler, aber für Daniel und Daniela organisierten Freunde das erste Treffen. In Zürich, denn Daniela ist Schweizerin. Sie hatte schon einige Bewerber abgelehnt.
Daniel begann gerade erst mit der Suche. Er stammt zwar aus einem jüdischen, aber nicht sehr religiösen Elternhaus. Mit 18 Jahren fand er zur Orthodoxie und verbrachte ein halbes Jahr an einer israelischen Talmudschule. Seine Eltern waren besorgt, ihr Sohn könne zu radikal oder weltabgewandt werden. »Die Sorge konnte ich ihnen wohl nehmen«, sagt Daniel. »Bei der jüdischen Religion steht das Lernen, das Fragen und damit auch das In-Frage-Stellen im Vordergrund. Jeder orthodoxe Jude, der nicht isoliert, sondern mit und in der Gesellschaft lebt, setzt sich kritisch mit seinem Glauben auseinander.«
Daniel ist studierter Biologe. Kann man orthodoxer Jude und gleichzeitig Wissenschaftler sein? »Diese Frage habe ich mir während des Studiums natürlich auch gestellt. Es war nicht einfach, befriedigende Antworten für mich zu finden«, räumt er ein. Berufstätigkeit und streng religiöses Leben ließen sich aber zusammenzubringen. »Als ich dann an einem Berliner Forschungsinstitut war, bin ich nicht mit meinen Kollegen essen gegangen und habe sonnabends nicht gearbeitet. Dafür aber am Sonntag. Das war dann in Ordnung.«
Heute arbeitet Daniel als Rabbiner bei einer jüdischen Stiftung. Daniela ist Erzieherin in der orthodoxen Schule, die Chana besucht. Ephraim und Shira gehen in den jüdisch-orthodoxen Kindergarten. In der Umgebung gibt es etwa 60 orthodoxe Familien – an Spielgefährten herrscht also kein Mangel.
www.frag-den-rabbi.de
Dr. Gabriel Miller ist Leiter der Forschungsstelle für jüdisches Recht an der Universität zu Frankfurt am Main, Fachbereich Rechtswissenschaft. Gut verständlich beantwortet er »fast« alle Fragen zum Thema »Judentum«, auch die Frage nach den »orthodoxen und ultraorthodoxen Juden«. Unter > Jüdische Gruppen.
www.judentum.net
Die wichtigsten Webseiten, die jüdische Geschichte, Religion und aktu-elle Entwicklungen des Judentums in Deutschland widerspiegeln, in der Übersicht.
www.zentralratdjuden.de
Der Zentralrat der Juden in Deutschland ist die Spitzenorganisation der jüdischen Gemeinden in der Bundesrepublik Deutschland, die etwa 100.000 Mitglieder haben.
www.jmberlin.de
Im Jüdischen Museum Berlin finden sich neben Informationen über zwei Jahrtausende deutsch-jüdische Geschichte auch Unterrichtsmaterialien für Schulen. Durchklicken über > Kinder – Schüler – Lehrer.
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 10/13 lesen.