Ein Gespräch zu gelebtem Kinderrecht
Der Soziologe und Pädagoge Professor Lothar Krappmann war langjähriges Mitglied des UN-Kinderrechtsausschuss in Genf. Als Wissenschaftler erforschte er vor allem die Beziehungen von Kindern zueinander. Er berät Politiker, Verwaltungen und Verbände bei der Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention. Für Betrifft KINDER führte Barbara Leitner ein Interview mit ihm.
»Ein Kind, ein Lehrer, ein Buch und ein Stift können die Welt verändern«, ist der Leitspruch von Malala Yousafzai, die sich trotz akuter Lebensgefahr seit ihrem elftem Lebensjahr für bessere Bildungschancen für alle Mädchen in ihrer pakistanischen Heimat einsetzt. Dafür erhielt sie in diesem Jahr zusammen mit Kailash Satyarthi den Friedensnobelpreis. Das birgt auch Zweifel: »Was hat es mit Frieden zu tun, wenn ein Kind für das Recht auf Bildung eintritt?« Gibt es für Sie einen Zusammenhang zwischen Bildung und Frieden und ist es berechtigt, dem Mädchen diesen Preis zu verleihen?
Für manche Menschen mag Bildung sein, einen Satz richtig zu schreiben und das Einmaleins zu lernen. Von dort ist der Schritt zum Frieden weit. Im Verständnis der UN gehört zur Bildung weit mehr. Danach ist Bildung die Formung der Persönlichkeit. Dazu gehört alles, was ein Mensch benötigt, um mit den anderen Menschen gut zusammen leben und Konflikte bewältigen zu können. Bildung hilft, eine friedliche Welt zu schaffen, eine Welt, in der nach anderen Wegen als Gewalt für Konfliktlösungen gesucht wird. Dafür ist Bildung zentral. Man braucht sicher auch Wissen, aber vor allem eine Person mit Urteilsfähigkeit und Verantwortungsbereitschaft, um eine gerechtere, tolerantere Ordnung in der Welt zu schaffen, Verhältnisse, in der Menschen einander gegenseitig wahrnehmen und respektieren, auch wenn sie in verschiedenen kulturellen und religiösen Zusammenhängen leben. In dem Sinne ist es mehr als gerechtfertigt, Malala Yousafzai, die sich für das Menschenrecht auf Bildung einsetzt, den Friedensnobelpreis zu verleihen.
Nun sagen Sie, Kinderrechte in einer Kita oder Schule zu leben, sei ein wichtiges Qualitätsmerkmal für diese Einrichtungen. Welche Verbindung gibt es für Sie zwischen Bildung und Kinderrechten?
Die Fähigkeiten, Konflikte friedlich zu regeln, aufeinander Rücksicht zu nehmen und miteinander zu diskutieren und auszuhandeln, was man unter gutem gemeinsamem Leben versteht, sind keine Fähigkeiten, die der Mensch von vornherein hat. Sie entwickeln sich in Bildungsprozessen, auch schon vor Kita und Schule. Anfänge gibt es bereits im ersten Umgang der Eltern mit dem Kind. Vom ersten Lebenstag an haben Kinder ein Recht auf Bildung.
Sie meinen, bereits früh kann ein Kind erfahren, ich bin ein Mensch mit Rechten?
Forscher haben die ersten Interaktionen von Müttern mit ihren neugeborenen Kindern beobachtet. Mütter kommunizieren normalerweise von Anfang mit ihren Kindern. Auch wenn ihr Kind noch nicht sprechen kann, lesen sie aus dem Verhalten ihres Kindes ab, was das Kind ihnen sagen will und reagieren darauf. So entwickelte sich zwischen beiden ein Austausch, in dem die Eltern das Kind als ein Wesen respektieren, das selber etwas will, eigene Ziele hat, manche Dinge mag, andere nicht. Sehr bald stellen Kinder Ansprüche, wollen wahrgenommen werden und signalisieren das wie ein Recht, das ihnen zusteht.
Das drückt die UN-Kinderrechtskonvention, in der die Rechte der Kinder niedergelegt sind, in juristischer Sprache aus: Kinder sind nicht Objekte des Handelns von Erwachsenen. Sie haben ihre Sichtweise, eigene Vorschläge, Ziele und schon bald auch Erfahrungen, die sie einbringen wollen. Da mag manches noch unvollkommen sein. Dennoch gilt es, daran anknüpfen und die Kinder zu unterstützen, dass sie ihren Beitrag einbringen können. Übrigens sind auch Er-wachsene nicht vollkommen. Auch sie können sich nur weiterentwickeln, wenn sie ernstgenommen werden, auf ihre Fragen geantwortet wird und es Erklärungen gibt – letztlich nicht anders als Kinder. Daher wollten die Staaten der Welt mit der Konvention klarmachen, das die Menschenrechte nicht nur Rechte der Erwachsenen sind, sondern auch Rechte der Kinder. Allerdings muss man die Umsetzung dieser Rechte der Lebenssituation der Kinder anpassen. Sie sind noch Lernende und in mancher Hinsicht auch auf Schutz angewiesen. Trotzdem steht ihnen zu, gehört zu werden, Fragen beantwortet zu erhalten, gefördert zu werden und Verantwortlichkeit zu übernehmen, wo sie Verantwortung schon wahrnehmen können. Das garantiert ihnen die Kinderrechtskonvention.
Kontakt
Professor Lothar Krappmann
Max-Planck-Institut für Bildungsforschung
Lentzeallee 94 · 14195 Berlin
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 11-12/14 lesen.