Der Blick nach Down Under ist für die Diskussion im Feld der frühkindlichen Bildung besonders lohnenswert, da in Australien in den letzten Jahren vielfältige Maßnahmen entwickelt worden sind, um die Qualität frühkindlicher Bildung und Betreuung zu erhöhen. Diese liefern auch spannende Impulse für die deutsche Frühpädagogik. Die zweiteilige Vorstellungsreihe komplettieren wir hier mit den beiden weiteren Säulen der australischen Kindheitspädagogik.
Um eine Übersicht zu geben, greifen wir noch einmal die drei Säulen der frühpädagogischen Qualitätsentwicklung in Australien auf:
- Säule 1, der nationale Bildungsplan für die frühpädagogische Arbeit und seine Auswirkungen auf die Dokumentation kindlicher Entwicklungsprozesse wurde in der letzten Ausgabe erläutert.
In dieser Ausgabe stellen wir die beiden folgenden Säulen vor:
- Säule 2, die nationale Qualitätsinitiative und der damit einhergehende Qualitätsentwicklungsprozess, und
- Säule 3, den nationalen Ethikcode für die frühpädagogische Arbeit, der die professionelle Haltung in der Zusammenarbeit mit allen Beteiligten festschreibt.
Nationale Qualitätsoffensive
In Australien ist die qualitative Weiterentwicklung der frühpädagogischen Arbeit seit 2012 eine nationale Aufgabe, der jede Kita verpflichtet ist. Obwohl die frühkindliche Bildung, Erziehung und Betreuung auch dort in die Hoheit der sechs Bundesländer und zwei Territorien fällt, haben im Dezember 2009 alle Landesregierungen im australischen Bundesrat beschlossen, einen nationalen Qualitätsrahmen für die Arbeit in Kindertageseinrichtungen zu entwickeln. An diesen Entwicklungsarbeiten waren alle zentralen Akteursgruppen (Wissenschaft, Politik und Praxis) gleichberechtigt beteiligt. Hervorzuheben ist, dass in Australien all diese Gruppen gemeinsam in dem Dachverband »Early Childhood Australia« organisiert sind und viele Bezugspunkte im Rahmen gemeinsamer nationaler Fachtagungen und Arbeitsgruppen haben1.
Mit der verbindlichen Einführung des entwickelten Qualitätsrahmens wurde 2012 bis 2020 eine Erprobungs- und Weiterentwicklungsphase des nationalen Qualitätsentwicklungsinstruments eingeleitet. Mit dieser Strategie wurde nicht nur der hohe Stellenwert frühkindlicher Bildung betont, sondern auch eine umfassende nationale Qualitätsoffensive eingeleitet. Denn mit diesem Instrument liegt in Australien erstmals ein einheitlicher nationaler Maßstab für die Qualität frühkindlicher Bildung vor, zu deren Umsetzung sich alle Kitas und Fachkräfte verpflichten. Qualitätsentwicklung ist damit eine festgeschriebene Aufgabe für jede australische Kita2. Der nationale Qualitätsentwicklungsprozess basiert auf dem australischen Qualitätsrahmen für frühkindliche Bildung und Betreuung (national quality framework for early childhood education and care, NQF)3 und seinen Qualitätsstandards4. Diese Qualitätsstandards verkörpern Schlüsselelemente des Qualitätsrahmens und bestehen aus sieben Qualitätsbereichen, die 18 Standards mit insgesamt 58 Bestandteilen enthalten. Die sieben Bereiche umfassen:
- Qualitätsbereich 1: Pädagogische Konzeption und Praxis (Educational program and practice),
- Qualitätsbereich 2: Kindliche Gesundheit und Sicherheit (Children’s health and safety),
- Qualitätsbereich 3: Räumliche Möglichkeiten (Physical environment),
- Qualitätsbereich 4: Personalausstattung (Staffing arrangements),
- Qualitätsbereich 5: Beziehungen mit Kindern (Relationships with children),
- Qualitätsbereich 6: Zusammenarbeit mit Familien und dem Sozialraum (Collaborative partnerships with families and communities),
-
Qualitätsbereich 7: Leitung und Einrichtungsentwicklung (Leadership and service management).
Der nationale Qualitätsrahmen und seine Standards ermöglichen es pädagogischen Fachkräften und Familien, ein besseres Verständnis von einer qualitativ hochwertigen Kindertageseinrichtung zu entwickeln. Dadurch wird auch die Zielsetzung verfolgt, dass Familien eine Entscheidung für eine Einrichtung treffen, die auf dem Aspekt der Qualität der Betreuung und Bildung basiert. Alle Bereiche betonen die Partizipationsmöglichkeiten der Kinder, z.B. muss sichergestellt sein, dass jedes Kind einen Einfluss auf die pädagogische Gestaltung des Alltags hat.
So wurde in der australischen Kindertageseinrichtung »Blackfriars«, die wir uns ansehen konnten, regelmäßig ein Treffen mit den Kindern einberufen, bei welchem die Kinder ermutigt wurden, ihre Wünsche und Ideen zu äußern. Diese Idee entwickelte sich auf Wunsch der Kinder. Diese sahen die pädagogischen Fachkräfte einmal pro Woche an einem Tisch versammelt und hinterfragten den Grund des Treffens (Es war die pädagogische Planung für die darauf folgende Woche). Durch dieses Vorgehen zeigten die pädagogischen Fachkräfte, dass es für sie ein hohes Anliegen ist, das Mitspracherecht des Kindes in die Planung pädagogischer Aktivitäten mit einzubeziehen.
Ein zweites Grundprinzip stellt die Berücksichtigung der familiären Bedürfnisse und Besonderheiten in der pädagogischen Arbeit dar. Eine hohe Priorität verkörpert deshalb die Umsetzung und Weiterführung der familiären Praktiken im Rahmen der pädagogischen Arbeit in der Kita, wie z.B. die individuellen Schlafenszeiten von Kindern. So müssen Kinder in der Kita Blackfriars nicht ruhen, wenn dies nicht ihrem individuellen Schlafrhythmus entspricht, sondern haben die Möglichkeit, während der allgemeinen Ruhephase zu spielen, Bücher anzugucken oder anderen Aktivitäten nachzugehen.
Ein weiteres Beispiel sind die Regelungen für die Bring- und Abholzeiten. Unabhängig vom Tagesablauf in der Kita hat die Familie die Freiheit, das Kind zu jeder Zeit innerhalb der Öffnungszeiten zu bringen oder abzuholen. Dadurch wird die Familie nicht dem Druck ausgesetzt, ihr Leben nach dem Rhythmus der Kita auszurichten. Vielmehr steht der Rhythmus des Kindes und dessen Familie im Vordergrund.
Es geht nach diesem australischen Verständnis dann eben nicht nur um die verbale Anerkennung von Partizipationsmöglichkeiten von Kindern und ihrer Familien, sondern um die tatsächliche Berücksichtigung kindlicher und familiärer Bedürfnisse in der pädagogischen Arbeit. Das erfordert eine hohe Flexibilität und Bereitschaft im Team, kindlichen und familiären Bedürfnissen Rechnung zu tragen und den Alltag entsprechend zu gestalten. Damit einher geht die Reflexion und Planung der Strukturen des pädagogischen Alltags. Dies umfasst Ressourcen und Kapazitäten in der Einrichtung, damit die Berücksichtigung individueller Bedürfnisse der Familien nicht als Belastung empfunden oder nur rein theoretisch anerkannt werden kann.
Mit dieser Vorgehensweise einher geht aber auch die professionelle Haltung, dass pädagogische Erziehungs- und Bildungsvorstellung nicht mehr Gewicht haben als die Wünsche und Bedürfnisse des einzelnen Kindes und dessen Familie. Natürlich beinhaltet diese Art der Zusammenarbeit mit Kindern und Familien einen umfassenden Austausch, in dem die unterschiedlichen Wünsche und Vorstellungen ergründet und gemeinsame Lösungen entwickelt werden können.
1 Australian Children’s Education & Care Quality Authority (ACECQA) (2013). Guide to the National Quality Framework. Sydney: ACECQA.
2 ebenda
3 ebenda
4 National Quality Standards Professional Learning Program (NQSPLP) (2012). Links between the EYLF, the NQS, and everyday practice.
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 03/16 lesen.