Das Recht auf Partizipation in der Familie
Welches Kind einladen? Welches T-Shirt anziehen? Welche Speisen essen? – Am meisten Mitbestimmungsrechte haben Kinder im Alltag der Familie. Doch sowohl dort als auch in der Kita gilt: Es kommt nicht nur auf die Quantität, sondern auch auf die Qualität der Beteiligung an. Ursula Winklhofer hat die Ergebnisse zahlreicher Studien dazu ausgewertet.
Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Beteiligung. Dieses Recht ist verankert in der UN-Kinderrechtskonvention, aber auch in zahlreichen nationalen Gesetzen (Bürgerliches Gesetzbuch, Kinder- und Jugendhilfegesetz, Kinderschutzgesetz u.a.).
Beteiligung oder auch Partizipation bedeuten, dass Kinder und Jugendliche an Entscheidungen mitwirken, die sie betreffen und auf diese Weise aktiv ihre Lebensbereiche mitgestalten1. Eine eingängige Definition bietet auch die Expertise von Annedore Prengel zum Thema Bildungsteilhabe und Partizipation in Kindertageseinrichtungen: »Partizipation bezeichnet die Möglichkeit der Kinder, in ihren Lebens- und Lernzusammenhängen Einfluss zu nehmen«2. Beteiligung ist damit mehr als die bloße Teilnahme an einem Angebot, mehr als das Engagement für eine Sache oder die Übernahme einer verantwortlichen Aufgabe3.
Der Anspruch, Kinder und Jugendliche zu beteiligen, findet heute überwiegend Zustimmung, sowohl in der Politik als auch in pädagogischen Handlungsfeldern. Dennoch gibt es in der Praxis von Kindertageseinrichtungen, Schulen oder Kommunen häufig noch ein Defizit bezüglich der konsequenten Umsetzung von Partizipation im Alltag. Demgegenüber erscheint die Beteiligung der Kinder in der Familie sehr viel weitreichender verwirklicht.
Beteiligung in der Familie
Fragt man die Kinder und Jugendlichen, so ist die Familie ganz eindeutig der Bereich, in dem sie am meisten mitwirken und teilweise auch selbst bestimmen können. Die meisten Kinder sind damit auch sehr zufrieden. In einer Gesamtbewertung der Freiheiten im Alltag der Familie äußert sich die große Mehrheit (83 Prozent) der Sechs- bis Elfjährigen dazu positiv (40 Prozent) oder sogar sehr positiv (43 Prozent)4.
Historisch betrachtet hat sich seit den 1960er-Jahren ein zunehmender Wandel in der Gestaltung der familiären Beziehungen vollzogen. Eltern treten ihren Kindern deutlich weniger als Autoritäten gegenüber, die genau vorschreiben, was zu tun ist, sondern sind bereit, sich auf argumentierende Beratungs- und Aushandlungsprozesse einzulassen. Prägnant beschrieben wird diese Entwicklung mit dem Schlagwort »vom Befehls- zum Verhandlungshaushalt«5.
Inwieweit können nun Kinder in der Familie mitbestimmen? Daten dazu sind in einigen Studien erhoben worden, in denen die Kinder selbst befragt wurden. Exemplarisch wird hier zum einen auf Ergebnisse aus dem DJI-Kinderpanel6 (Alt/Teubner/Winklhofer 2005) und zum anderen auf die 3. World Vision Kinderstudie7 eingegangen.
Bereits Grundschulkinder im Alter von neun und zehn Jahren werden nach Ergebnissen des DJI-Kinderpanel zu einem großen Teil (zwei Drittel von der Mutter, gut die Hälfte vom Vater) häufig oder immer nach ihrer Meinung gefragt, wenn es etwas zu entscheiden gibt, was sie selbst betrifft. Eine Mehrheit der Kinder ist auch in Entscheidungsprozesse eingebunden, welche die Familie als Ganzes angehen. Auch bei Familienentscheidungen sind die Mütter etwas häufiger bereit, die Meinung der Kinder einzubeziehen, nämlich 62 Prozent gegenüber 53 Prozent der Väter – so erleben es jedenfalls die Kinder8. Aktuelle Daten weisen in eine ähnliche Richtung: 60 Prozent der Kinder im Alter von sechs bis elf Jahren erleben häufig die Wertschätzung ihrer eigenen Meinung durch ihre Mutter, knapp die Hälfte (49 Prozent) erlebt dies häufig durch ihren Vater. Die Eltern schneiden damit deutlich besser ab als Lehrkräfte (29 Prozent) und pädagogische Fachkräfte (33 Prozent) im Hort oder der Mittagsbetreuung9.
Die 3. World Vision Kinderstudie fragt weiterhin nach den Mitbestimmungsmöglichkeiten im Alltag der Familie bezogen auf verschiedene Handlungsbereiche. Die Übersicht auf Seite 11 zeigt, in welchen Bereichen Kinder im Alter von sechs bis elf Jahren zu Hause im Alltag (mit-)bestimmen können.
Die Mitwirkungsmöglichkeiten vergrößern sich mit dem Alter der Kinder in allen Bereichen, so dass z.B. in der Auswahl ihrer Kleidung immerhin 63 Prozent der Sechs- bis Siebenjährigen, aber bereits 79 Prozent der Acht- bis Neunjährigen und schließlich 90 Prozent der Zehn- bis Elfjährigen selbst entscheiden oder mitreden können10. Entscheidungsmöglichkeiten werden jedoch auch durch die finanziellen Möglichkeiten der Familie bestimmt. Dies zeigt sich bei der Freizeitgestaltung und beim Taschengeld, aber auch beim Essen und der Einladung von Freunden – je höher die Herkunftsschicht, umso größer sind die Entscheidungsspielräume der Kinder11.
www.kindergerechtes-deutschland.de/publikationen
Auf der Homepage der Initiative »Für ein kindgerechtes Deutschland« finden Sie u.a. eine Projektdatenbank der »Guten Beispiele« nach Bundesländern geordnet und Broschüren zum Bestellen bzw. Downloaden. Darunter auch die oben erwähnten »Qualitätsstandards für Beteiligung von Kindern und Jugendlichen. Allgemeine Qualitätsstandards und Empfehlungen für die Praxisfelder Kindertageseinrichtungen, Schule, Kommune, Kinder- und Jugendarbeit und Erzieherische Hilfen« des BMFSFJ.
www.familienhandbuch.de
Wir danken dem Staatsinstitut für Frühpädagogik (IFP), Herausgeber des Online-Familienhandbuchs, in dem unter dem Titel »Beteiligung und Demokratie« Auszüge des vorliegenden Beitrages von Ursula Winklhofer erscheinen werden, für die Abbruckerlaubnis.
1 Fatke R., Schneider H. (2005): Kinder- und Jugendpartizipation in Deutschland. Daten, Fakten, Perspektiven. Gütersloh, S. 7. Als Download verfügbar unter www.bertelsmann-stifung.de, dort unter »Publikationen«, »Kostenlose Studien«, »Liste durchsuchen« den Titel eingeben
2 Prengel A. (2016): Bildungsteilhabe und Partizipation in Kindertageseinrichtungen. Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte, WiFF Expertisen, Band 47. München, S. 10
3 Winklhofer U. (2014): Partizipation und die Qualität pädagogischer Beziehungen. In: Prengel A., Winklhofer U. (Hrsg.): Kinderrechte in pädagogischen Beziehungen. Band 1: Praxiszugänge. Opladen, S. 57-70
4 Pupeter M., Schneekloth U. (2013): Mitbestimmung und die eigene Meinung. In: World Vision Deutschland e.V. (Hrsg.): Kinder in Deutschland 2013. 3. World Vision Kinderstudie, S. 203
5 du Bois-Reymond M. (1994): Die moderne Familie als Verhandlungshaushalt. In: du Bois-Reymond M. u.a. (Hrsg.): Kinderleben. Modernisierung von Kindheit im interkulturellen Vergleich. Opladen, S. 137-219
6 Ebenda, S. 24-31
7 Pupeter/Schneekloth 2013, S. 182-203
8 Alt C., Teubner M., Winklhofer U. (2005): Familie und Schule – Übungsfelder der Demokratie. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, S. 41
9 Pupeter/Schneekloth 2013, S. 195
10 Ebenda, S. 185
11 Ebenda, S. 187
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 11-12/16 lesen.