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Menschen, Räume, Werkstattträume
Das Entstehen einer Werkstattkita ist ein einzigartiger Prozess. Unterschiedlichste räumliche Voraussetzungen wollen berücksichtigt und pädagogische Haltungen reflektiert werden. Marion Tielemann, Fachberaterin und Gründerin der ersten Modell-Werkstattkita, beantwortet in dieser Reihe oft gestellte Fragen zur Werkstattkita und beschreibt – zusammen mit den Kitaleitungen – gemeisterte Herausforderungen.
Die Umgestaltung von Außengeländen gehört zu meinen Lieblingsaufgaben, denn ein gut geplanter Außenbereich ist für sämtliche Entwicklungsbedürfnisse von Kitakindern – von den jüngsten bis hin zu den ältesten – einfach großartig! Begonnen habe ich damit in der von mir selbst im Jahr 1993 gegründeten Kita »KitaBü« in der Nähe von Hamburg. Die Vorzüge eines natürlich gewachsenen Gartens mit Bäumen, Büschen und Hecken, Beeten und Wasserplantschen kenne und schätze ich daher aus eigener, langjähriger Erfahrung. Auch deshalb habe ich die Anfrage der Kita St. Pius im nordrhein-westfälischen Rhede zu Beginn dieses Jahres liebend gern angenommen.
Die Umgestaltung ihrer Funktionsräume im Innenbereich zu altersgerechten Werkstätten hatte das Team, ebenfalls mit meiner Unterstützung, bereits im Sommer 2016 abgeschlossen. Die vielen, im Sommer 2015 neu aufgenommen Zweijährigen konnten sich daraufhin gut in die Arbeit nach dem offenen Konzept integrieren. Begeistert darüber sollten nun auch im Außenbereich Werkstätten gestaltet werden. Den Wunsch, das Außengelände ebenfalls in Naturspielräume – ich nenne sie gern auch Naturwerkstätten – umzugestalten, kenne ich von etlichen Kitas, die den Weg zur Werkstattkita erfolgreich abgeschlossen haben. Die Entwicklung von Werkstätten auch im Außenbereich erscheint mir eine logische Folge, eine Weiterentwicklung der Werkstätten im Innenbereich zu sein.
Vorbereitete natürliche Umgebung
Der Eindruck des Teams von St. Pius, die Kinder würden im Außenbereich nicht wirklich in ihre Spielwelt eintauchen können, konnte ich gut nachvollziehen. Etwas »stimmte« in ihrem Außengelände nicht. Vermutlich u.a. durch das Hinzukommen immer neuer »gut gemeinter« Spielmöglichkeiten, wirkte der gesamte Bereich irgendwie durcheinander. Weil Kinder noch stärker als Erwachsene auf harmonische bzw. nicht harmonische Innen- und Außenräume reagieren, plädierte ich dafür, dem Außenbereich als Allererstes mithilfe eines Rundweges eine neue Orientierungsstruktur als zukünftigem »Abenteuerweg« zu geben. Möglichst nah an den Grenzen des Grundstückes entlang, könnte er zukünftig zudem eine tolle »Einbahnstraßen«-Rennstrecke sein, auf der die Kinder – wie ich es aus der KitaBü und anderen Kitas kenne – mit kleinen Fahrrädern, Rollern oder Dreiradtaxen endlos Runden drehen können.
Auf dem Gelände innerhalb des Rundweges wäre eine fahrzeugfreie Zone anzudenken und damit jede Menge geschützter Raum, in dem mit der Zeit kleine Werkstätten und Spielbereiche entstehen könnten. Dieses Vorgehen erschien dem Team sofort sinnvoll. Die Vorstellung, die Werkstätten mit der Zeit »wachsen zu lassen«, gefiel ihnen sehr und gab ihnen eine Idee, wie das insgesamt recht umfangreiche Projekt – auch ohne große finanzielle Unterstützung – realisiert werden könnte.
Struktur schafft Harmonie
In den beiden »Ausbuchtungen« – zwei Flächen Land, welche der Kita St. Pius irgendwann einmal übereignet wurden – befanden sich zu diesem Zeitpunkt zudem ein großer Sandbereich und ein Fußballplatz. Beides wurde von den Kindern gern und häufig zum Spielen genutzt und konnte meiner Meinung nach auch so beibehalten werden. Solch großflächige Spielräume sollten meiner Meinung nach sowieso generell außerhalb des, die Naturwerkstätten schützenden, Rundweges angelegt sein.
Einen weiteren Veränderungsvorschlag hatte ich jedoch noch: Mich irritierten die vielen kleineren und größeren Tiergehege der Kaninchen, Hühner und Meerschweinchen, die an einer Seite des Kitagebäudes installiert waren. Irgendwie standen sie nicht Beziehung miteinander. Meiner Idee, die Gehege etwas näher zueinander zu legen und ihnen, mit einem kleinen Holzzaun versehen, den Charakter eines kleinen Zoos zu geben, stimmte das Team begeistert zu.
Weil ich die Leiterin der Kita St. Pius, Petra Jormann-Voigt, als sehr patent im Umgang mit dem Träger, ihrem Team und den Eltern kennengelernt hatte, wusste ich, dass ich ihr die nächsten Schritte – das Einholen der Genehmigung beim Träger und vielleicht sogar dessen Bereitschaft für eine gewisse finanzielle Unterstützung und die Einbeziehung der Kinder und der Eltern – getrost überlassen konnte.
Um neu aufkommende Fragen besprechen zu können, vereinbarten wir einen zweiten Termin für Herbst 2017. Die Umgestaltungsarbeiten des Außengeländes sind aktuell noch in vollem Gange und die ersten sichtbaren Ergebnisse gefallen mir sehr gut.
Um Ihnen auch einen Eindruck von einem bereits seit vielen Jahren gewachsenen Naturspielraum zu vermitteln, habe ich diesem Beitrag ausnahmsweise auch Fotos aus der KitaBü beigefügt.
Gemeinsame Zukunft
Insbesondere die tatkräftige Einbeziehung der Eltern hat – wie es im Grunde bei jeglicher gemeinschaftlichen Gestaltung der Fall ist – den wunderbaren Nebeneffekt: Aktiv Beteiligte besitzen auch nach der eigentlichen Aktion ein hohes Maß an Bereitschaft, Verantwortung für die zukünftige Pflege und weitere Gestaltungen zu übernehmen. Auch in der Kita St. Pius, mit dessen Leiterin ich bis zum nächsten Besuchstermin hin und wieder telefoniere oder per E-Mail im Kontakt stehe, ist genau das gelungen: Inzwischen haben sowohl der Rundweg als auch der kleine Zoo mit vereinten Kräften bereits mächtig Gestalt angenommen und die Kaninchen, Hühner und Meerschweinchen werden jetzt von allen zusammen gepflegt und versorgt!
Natürliche Spielwelten
Ein Naturspielraum sollte über möglichst viele kleine Lebenswelten unterschiedlicher Qualitäten verfügen: Orte an denen die Kinder laut sein oder ih-ren Bewegungsdrang ausleben können, an denen sie sich mit anderen ins gemeinsame Spiel hineingeben oder an denen sie einfach mal ganz für sich sein können. Kinder aller Altersstufen lieben das »naturliche« freie Spiel. Sie folgen intuitiv ihren inneren Bedürfnissen und entdecken oder erfinden immer neue magische Welten. Sie bauen Häuser aus Steinen und Matsch, jagen Diebe, beerdigen tote Käfer oder Vögel, buddeln Tunnel bis zum Ende der Welt, bauen Zäune, um die wilden Tiere zu fangen, gehen auf große Seefahrt über den Ozean, schmücken ihre Häuschen oder Höhlen und decken ihr Tischchen, weil sich FreundInnen zum gemeinsamen Essen angekündigt haben ...
Ich habe es immer wieder erlebt, dass sich das Kitaleben in den sonnigen Monaten überwiegend draußen im Garten abspielt und die innenliegenden Werkstätten weniger besucht werden. Selbst das Kinderrestaurant wirkt im Sommer ein wenig verwaist. Das Frühstück und Mittagessen scheint den Kindern im Garten doppelt so gut zu schmecken. Deshalb sollten die Naturspielräume auch den ganzen Tag über für die Kinder frei zugänglich sein.
Die Aufgabe der ErzieherInnen im Naturspielraum
Ebenso wie es wundervoll ist, leidenschaftliche PädagogInnen im Atelier, im Bewegungsraum oder in der Bauwerkstatt im Team zu haben, ist es wunderbar, wenn ein paar PädagogInnen leidenschaftlich gern draußen im Garten sind. Im Naturspielraum verliert sich die Rolle des »Aufpassers« übrigens wie von selbst. Die PädagogInnen sind – wie in den Werkstätten im Innenbereich auch – verantwortlich für die Räume draußen. Sie sind die GastgeberInnen der Räume, für die sie Verantwortung übernommen haben bzw. im wahrsten Sinne des Wortes Kinder-GärtnerInnen!
Indem sie respektvoll mit der Natur umgehen, dienen sie den Kindern als gute Vorbilder für einen ebensolchen Umgang. Kindern, die in der Natur aufwachsen, muss man deshalb viele Regeln, wie z.B. dass man Pflanzen nicht verletzen soll, auch nicht eigens beibringen. Dasselbe gilt für die Gartenpflege. Die Kinder kopieren diese Tätigkeit aus eigenem Antrieb mit den, ihrer Größe angepassten, Rechen, Besen und Spaten.
Ganz generell verlangt die Aufsichtspflicht nicht, dass die Kinder von PädagogInnen beaufsichtigt werden. Sie erfüllt sich durch ihre Anwesenheit und Tätigkeit in den Naturspielräumen und ihr Zusammensein mit den Kindern. Ein Kind, das sich bereits im Garten eingelebt, seine Gefahren und Grenzen mithilfe der PädagogInnen kennengelernt hat, kann und darf sich frei im Garten bewegen und hat das Recht, für seine kleine Freiheit selbst Verantwortung zu übernehmen. Wann dieser Zeitpunkt gekommen ist, darüber entscheiden die PädagogInnen, aber auch das Kind nimmt ihn wahr, indem es z.B. sagt: »Weißt du, ich kann alleine auf mich aufpassen! Ich bin am liebsten in meinem Tischlerschuppen!«
Marion Tielemann, Leiterin des Instituts für pädagogische Kompetenz, Fachberaterin und Reggio-Anerkennungsbeauftragte, gründete Anfang der 1990er-Jahre die erste Modell-Werkstattkita »KitaBü« in Schleswig-Holstein und hat unzählige Kitas auf dem Weg, selbst eine Werkstattkita zu werden, unterstützt.
Kontakt
Die Kita St. Pius im nordrhein-westfälischen Rhede gehört mit fünf weiteren Kitas zur Kirchengemeinde St. Gudula. Die Einrichtung wurde 1968 eröffnet. Aktuell betreut ein Team von zwölf Mitarbeiterinnen mit unterschiedlichen Stundenbudgets 70 Kinder ab dem Alter von einem Jahr.
Kontakt
www.kitas-st-gudula.de
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 06-07/17 lesen.