Mit Wertschätzung der eigenen Arbeit auf der Spur
Qualitätsemtwicklung, die inspiriert und Spaß macht – mit diesem Ziel haben sich 25 Hamburger Träger auf den Weg gemacht. Gemeinsam haben sie den Dachverband KINDERMITTE e.V. gegründet und eine positive Haltung zur Qualitätsentwicklung formuliert. Im Mittelpunkt steht der Dialog auf Augenhöhe, er führt die Kitas partizipativ und wertschätzend durch ihren Qualitätsprozess. Für Betrifft KINDER berichten Sarah Stüber und Maike Reese von den ersten Erfahrungen mit dem KINDERMITTE Qualitätsdialog.
Die Philosophie der »Appreciative Inquiry«
»Wer Probleme beforscht, wird etwas über Probleme lernen. Wer Lösungen und Erfolge betrachtet, lernt etwas über die Wege des Gelingens«, lautet der von Diana Whitney formulierte positive Grundgedanke von »Appreciative Inquiry«. Aus dem Englischen übersetzt, bedeutet diese Haltung »Wertschätzende Erkundung«. Sie dient als Verfahrensweise, um konsequent positiv und stärkenorientiert zu arbeiten. Statt sich an den Defiziten zu orientierten, geht diese Haltung davon aus, dass jede Organisation etwas Funktionierendes bietet, was reflektiert und ausgebaut werden kann.
Die »Wertschätzende Erkundung« bindet alle Akteure durch einen direkten Dialog ein. Mit positiven Fragen wird ein wertschätzender Blick auf die Vergangenheit und die Gegenwart geworfen. Das Credo lautet: Positive Fragen führen zu positiver Veränderung.
Mit Hilfe der Methode tauscht sich das Team zuversichtlich über Erfahrungen, Meinungen und neue Lösungen aus. Alle Mitarbeitenden, unabhängig davon, welche Qualifikation und Erfahrungen sie mitbringen, werden gleichberechtigt eingebunden. Es entsteht eine Kultur der Anerkennung, Neugier und Offenheit. Der Verein KINDERMITTE hat sich diese Haltung angenommen und in seinen Ablauf der Qualitätsentwicklung integriert.
Die Wertschätzende Erkundung
Mit klar positiv formulierten Leitfragen wird im KINDERMITTE Qualitätsdialog die pädagogische Praxis reflektiert. Das gesamte Team tauscht sich zu vier Aspekten aus: Haltung, Ich, Wir und Welt. Es werden Geschichten des Gelingens und Ideen für die Weiterentwicklung gesammelt. Dieses Verfahren wirft anfänglich natürlich die Frage auf: Wie können wir die Qualität verbessern, wenn wir gar nicht auf Fehlersuche gehen?
Im Verlauf des Prozesses sind die meisten darüber erstaunt, wie sehr diese Methode hilft, die Gelingensfaktoren ihrer Arbeit herauszufiltern und daraus Impulse für Veränderungen zu entwickeln. Wenn die bestärkenden Erfahrungen des Gelingens bewusst auf neue, herausfordernde Situationen angewendet werden, erwächst daraus eine positive Bewältigungsstrategie. Ein weiterer vorteilhafter Effekt des intensiven Gruppenaustausches ist die Weitergabe bewährter Praxis an neue Kolleginnen und Kollegen, welche ihrerseits direkt zu Wort kommen und deren neue Sicht auf die Kita als wertvolle Ressource nutzbar gemacht wird.
Der Besuch der Peers in der Kita
Der Tag des Peer Review1 ist eine besondere Chance auf einen kompetenten und wohlmeinenden Blick von außen. An den Stellen, wo Betriebsblindheit obwaltet und die Vergleichsmöglichkeit fehlt, bekommt das Team Rückmeldungen und Anregungen von externen Kolleginnen und Kollegen.
Einen Tag lang hospitiert eine Gruppe von zwei bis fünf Peers die pädagogische Arbeit. Vorab werden Beobachtungsfragen formuliert, die zum Tagesabschluss in einer Feedbackrunde besprochen werden.
Die Vorbereitung auf diesen Besuch erfordert die Auseinandersetzung mit der eigenen Haltung, denn das Peer-Review-Verfahren setzt Vertrauen und Offenheit voraus. Das gemeinsame Anliegen ist die bestmögliche pädagogische Qualität für die Kinder. Wenn ein Kollege oder eine Kollegin in einem bestimmten Bereich mehr Wissen hat, man sich voneinander »abgucken« und dadurch die pädagogische Arbeit weiterentwickeln kann, kommen letztendlich alle dem Ziel »Gute Kita« ein großes Stück näher. Der fachliche Austausch verbindet. Es geht nicht um Konkurrenz untereinander, sondern um eine bereichernde Lerngelegenheit.
Für die pädagogischen Fachkräfte ist der »Peer-Besuch« eine Chance über den eigenen Kita-Tellerrand hinauszuschauen: Wir sehen andere Nutzungskonzepte aus? Wie ist der Kitaalltag strukturiert? Welche Atmosphäre hat die Kita? Wie wird dort mit den Herausforderungen des Alltags umgegangen?
Besonders spannend für die Pädagoginnen und Pädagogen ist zudem die Perspektive der Kinder: Wie stellen die Kinder ihre Einrichtung vor? Was ist ihnen besonders wichtig? Was gefällt ihnen nicht? Welche Ideen für Veränderungen haben sie? Wenn die Kinder durch die Kita führen, kommen die Methoden zum Einsatz, die aus der Studie »Qualität aus Kindersicht« von Prof. Iris Nentwig-Gesemann bekannt sind.
Die Eindrücke werden notiert und mit Fotos dokumentiert. In der Feedbackrunde am Tagesende besteht anschließend die Chance, alle Eindrücke und Annahmen der Besucherinnen und Besucher zu besprechen. Welche Rückmeldungen aufgenommen werden, liegt in der Verantwortung der besuchten Kita.
Eine Einladung an die Eltern aussprechen
Der KINDERMITTE Qualitätsdialog möchte neben der Einbindung der Kinder- und Peer-Perspektive, auch die Eltern einbeziehen. Bei einem Elternabend können wertschätzende Interviews unter Eltern oder mit ihnen geführt werden. Mit Hilfe der verschiedenen Sichtweisen können die Stärken zusammengetragen werden, deren Benennung im Kitaalltag sonst untergeht. Diese Herangehensweise wirkt vertrauensbildend für alle Beteiligten und gibt eine sichere Struktur für die oft als mühsam und konfrontativ erlebten Elternabende. Es kann über die Zukunft der Kita gesprochen werden: Wie würde die Traumkita aussehen? Was kann Schritt für Schritt dafür unternommen werden? Zum Schluss hält man miteinander fest, was jede und jeder einzelne konkret dazu beitragen kann.
Kommunikation, Offenheit und Begegnung
Mit dem durchgehend positiven und konstruktiven Ansatz des KINDERMITTE Qualitätsdialogs kann der Aushandlungsprozess für die Qualität einer Kita gewinnbringend und wertschätzend gestaltet werden. Er bietet Verfahren und Tools, die die Verantwortlichen bei der Strukturierung und Koordinierung dieser Prozesse unterstützen. Mit dem Fokus auf die vier Dimensionen Haltung, Ich, Wir und Welt kommen alle relevanten Aspekte der Bildung, Betreuung und Erziehung zur Sprache. Die Verantwortung für die Qualität der Arbeit bleibt somit in den Händen der vor Ort zusammenwirkenden Akteure: Träger, Kitateam und Eltern.
Dr. Maike Reese ist freiberufliche Organisationsberaterin mit den Schwerpunkten Bildung und Non-Profit. Nach dem Studium der Erziehungswissenschaften promovierte sie zum Thema »Qualitätsmanagement in Schulen«. Sie leitet Seminare, berät Führungskräfte bzw. Teams und ist Autorin zahlreicher Artikel und Buchbeiträge rund um Qualitätsentwicklungsfragen.
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Dr. Sarah Stüber ist Soziologin, Expertin für Social Entrepreneurship und hat als Beraterin viele Organisationen bei der Gründung und Entwicklung begleitet. Seit 2016 setzt sie sich als Geschäftsführerin von Kindermitte e.V. für Vielfalt in der Kindertagesbetreuung ein.
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1 Wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Artikel veröffentlichen möchten, dann werden diese nicht von einer höheren Stelle begutachtet, sondern von Forscherinnen und Forschern aus dem gleichen Fachgebiet; diese kennen sich am besten aus und können beurteilen, welchen Beitrag die Arbeit des Kollegen für die wissenschaftliche Gemeinschaft bringt. Dieses Prinzip nennt sich »Peer Review« und lässt sich auch auf andere Bereiche übertragen. Als ein Beispiel für angewandtes Peer Review sei der reformpädagogische Schulverbund »Blick über den Zaun« genannt: In gegenseitigen Schulbesuchen wird eine Verbesserung der Schule »von unten« initiiert.
2 Vgl. Nentwig-Gesemann: QuaKi-Studie
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 11-12/18 lesen.