Ein Plädoyer für Langsamkeit
In den Spielstraßen der Kinder ist Schrittgeschwindigkeit angesagt. Dort sollten wir unser Tempo drosseln oder unsere Gedankenmaschine, soll heißen unsere Pläne, Bewertungen und Neigung zu vorschnellem Eingreifen, vielleicht sogar mal ganz abstellen. Ein Plädoyer für Langsamkeit und Unterbrechung von Steve Heitzer – Achtsamkeitslehrer, Pädagoge und Vater von drei Kindern.
»Nur noch schnell ...« Ein Gedanke, der uns oft antreibt im Alltag. Auch zu Höchstleistung. Wenn uns der Alltag jedoch zu überrollen droht, lenken wir unsere Aufmerksamkeit immer mehr nach außen, um das, was von außen kommt, »bewältigen« zu können. Aber was, wenn die Herausforderungen des Alltags uns tatsächlich ein- und überholen? Jedes Hamsterrad lässt sich theoretisch immer noch ein bisschen schneller drehen. Die Grenze unserer Leistungsfähigkeit müssen wir selbst ausloten und zwar in jedem einzelnen Moment, in dem die Dinge und wir gleich mit zum Selbstläufer werden. Der Hamster bestimmt die Geschwindigkeit. Sorgenvolle und problemorientierte Gedanken bringen das Hamsterrad besonders gut in Schwung. Von außen lässt sich das leicht erkennen. Aber von innen?
Wo spielt das Leben?
Orte, wo das Leben spielt – statt uns übel mitzuspielen –, gibt es viele. Für die einen ist es der abendliche Spaziergang, für die anderen der regelmäßige Saunatag mit der Freundin oder das Yoga am Morgen. Doch oft ist das nächste Yoga noch lange hin und selbst ein Gang um den Block von jetzt auf gleich nicht möglich. Glücklicherweise gibt es einen Ruhe-Ort auch in uns selbst. Der Wegbegleiter dorthin ist unser Atem.
Er gilt in vielen Traditionen als das Tor zur Gegenwart und zur Gegenwärtigkeit. Wenn wir den Atem beobachten, tritt unser getriebenes Ich zurück und wir erkennen: Es atmet uns. Nicht wir atmen, sondern dieser Atem ist uns wie eingehaucht – nicht nur einmalig wie bei der biblischen Erzählung der Erschaffung des Menschen oder mit dem ersten Atemzug nach der Geburt. Es atmet uns, ein ganzes Leben lang. Müssten wir daran denken, nicht das Atmen zu vergessen, wären wir schon längst tot, denn wir hätten ständig viel Wichtigeres zu tun.
Atemwunder
Der Atem ist ein kleines und ein großes Wunder und steht in vielen alten Sprachen und Kulturen für – göttlichen oder heiligen – Geist und Lebensprinzip. In der hebräischen, der griechischen und in der lateinischen Sprache finden wir z.B. die Verbindung von Atem und Geist in den Begriffen »Ruach«, »Pneuma« und »Spiritus«. Einen vergleichbaren Zusammenhang zwischen Atem, Geist und Lebensenergie, der auch in den großen Religionen und spirituellen Traditionen eine Rolle spielt, kennen wir vom chinesischen »Qi«, dem indischen »Prana« und, wenn auch weniger bekannt, dem »Od« nach Karl von Reichenbach. Im griechischen Original des Neuen Testamentes z.B., also dem christlichen Teil der Bibel, bzw. in der christlichen Tradition finden wir die Verwendung »heiliger« Geist. Doch nicht nur für die christliche Kontemplation, auch für die buddhistische Meditation wird der Atem als Anker verwendet: Aus unseren Gedanken kehren wir immer wieder zum Atem zurück, der uns auf dem Grund des Hier und Jetzt verankert.
Steve Heitzer ist Achtsamkeitslehrer, Pädagoge und Autor des Buches »Kinder sind nichts für Feiglinge. Ein Übungsweg der Achtsamkeit«. Er arbeitet seit 20 Jahren mit Kindern, lebt in Innsbruck und ist selbst Vater von 3 Kindern.
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Den vollständigen Beitrag und weitere Artikel zum Thema können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 11-12/2021 lesen.