Leben und Lernen in der dänischen Minderheit
In Deutschland geboren und doch mit einer anderen Kultur und einer weiteren Sprache verbunden sind die Angehörigen der dänischen Minderheit. An Diskriminierung und daran, dass Kinder sich nicht trauen, durch den Ort zu laufen, erinnern sich zum Glück nur noch die Ältesten. Heute genießen ihre Kultur und Sprache besonderen Schutz und ihre an den skandinavischen Ländern orientierten pädagogischen Konzepte werden auch von Eltern geschätzt, die nicht der dänischen Minderheit angehören. Unsere Redakteurin Jutta Gruber sprach mit Hilke Heinsen über deren Erfahrungen als Leitung der Flensburger Kita Kilseng Børnehave und mit Nele Schlapkohl, deren Söhne Pepe und Lönne dort nicht nur dänisch lernten.
Dass man in Ihrer Kita Kilseng Børnehave auf Dänisch angesprochen wird, wenn man eine Flensburger Telefonnummer wählt, hat mich im ersten Moment irritiert. Dann aber hat es mich beeindruckt, weil das ja auch für eine gesunde Portion Selbstbewusstsein spricht.
Ich würde lieber sagen, es spricht für eine gesunde Portion Selbstwertgefühl. Für uns ist es ganz normal, uns am Telefon auf Dänisch zu melden und ins Deutsche zu wechseln, wenn wir auf Deutsch angesprochen werden. Wir sind ja alle mindestens zweisprachig und wechseln die Sprachen, ohne darüber nachzudenken. Wir versuchen aber schon, vorrangig dänisch zu sprechen. Es ist ja unser Anliegen und unsere Aufgabe, die dänische Sprache und Kultur zu vermitteln.
Sie selbst stammen aus einer deutsch-friesischen Familie.
Das stimmt und das ist für Außenstehende vielleicht gar nicht so leicht zu verstehen. Ich bin an der Nordseeküste mit einer deutschen Mutter und einem friesischen Vater aufgewachsen und habe in eine dänische bzw. südschleswige, wie wir das hier nennen, Familie eingeheiratet. Insofern gehöre ich sogar zwei nationalen Minderheiten an. Die Naturgewalt der Nordsee und die Deiche werden immer Heimatgefühle in mir wecken und ich werde mich immer in der friesischen Sprache tief verwurzelt fühlen. Dennoch finde ich meine Identität inzwischen in der skandinavischen Kultur und empfinde die dänische Sprache als zweite und frei gewählte Muttersprache.
Die Kitas und Schulen des Dänischen Schulvereins in Südschleswig werden auch von Kindern besucht, die nicht der dänischen Minderheit angehören. Was macht Ihre Einrichtungen für sie bzw. ihre Eltern attraktiv?
Vielleicht sind es die Werte, die auch mir am Skandinavischen so sehr gefallen und in die pädagogischen Konzepte unserer Einrichtungen einfließen. Der Umgang der Menschen miteinander, die Gleichwertigkeit, das Liberale, die demokratische Kultur, das tief verwurzelte Mitspracherecht für Männer und Frauen. Wir Pädagog:innen werden ja alle in Dänemark ausgebildet. Mitabstimmen lassen, das haben wir gerade heute wieder gemacht. Aber auch dann, wenn wir Großen bestimmen, ist es uns wichtig, die Kinder zu sehen und zu hören, und oft ist das ja auch schon genug, damit sie sich wahrgenommen fühlen.
Erfahren Kinder und Familien der dänischen oder friesischen Minderheit auch Diskriminierung?
In Folge des Zweiten Weltkrieges wurden wir Dänen und Däninnen in Deutschland tatsächlich diskriminiert. Ich glaube, da wäre man uns am liebsten los gewesen. Unsere Kindergärten und Schulen wurden immer an den Rand der Gemeinde gelegt und unsere Kinder mussten Angst haben, durch den Ort zu gehen. Daran wurde sehr viel gearbeitet – auf beiden Seiten – und Aufklärung betrieben. Heute sprechen alle miteinander und die deutsch-dänische Beziehung wird auf Minderheitenkongressen und ähnlichen Veranstaltungen durchweg als positives Beispiel erwähnt. Ohne unsere politische Vertretung wäre das sicher nicht gelungen.
Wie meinen Sie das?
Als Teil einer Minderheit muss man sich immer erklären. Das ist einfach so. Die Vertreter:innen der Mehrheitsgesellschaft würden sonst nicht verstehen, warum wir unsere Kinder in eigene Kitas und Schulen geben möchten und nicht in deutsche. Auch unsere Kinder erleben, dass sie sich öfter erklären müssen als andere. Warum sie in eine dänische Kita oder Schule gehen, warum sie in die dänische Kirche gehen. Auch wenn sie das gar nicht genau wissen oder erklären können, erfahren sie doch sehr früh, beides zu sein. Also einerseits dorthin zu gehören, aber auch hier ein Teil zu sein. Im Verlauf ihrer Identitätsentwicklung wird schon sehr früh klar, dass man sich erklären muss, und möglicherweise stärkt das auch ein gewisses politisches Bewusstsein.
Unterscheiden die Kinder in der Kita Kilseng Børnehave zwischen den verschiedenen Sprachen?
Ich glaube, sie unterscheiden die verschiedenen Sprachen erst, wenn sie von außen darauf aufmerksam gemacht werden. Sie entwickeln ja nicht mit jeder Sprache eine separate Identität. Mehrere Sprachen zu sprechen, mitunter innerhalb eines Satzes, ist Teil ihrer Identität. Wenn die Kinder mit Puppen oder Tierfiguren spielen, kann man das gut beobachten. Da spricht dann die eine Puppe deutsch und die andere, die kann das dann nicht verstehen, und dann kommen sie aber doch irgendwie zusammen. Oder mir fällt auch auf, dass Kinder, die von Haus aus überwiegend Dänisch sprechen, gern deutsch sprechen, wenn sie mit Kindern zusammentreffen, die noch nicht gut Dänisch können. Und dann wird, im Spiel, die ganze Zeit die Sprache gewechselt. Das ist für die Kinder überhaupt kein Problem. Welche Sprache ein mehrsprachiges Kind spricht, hat immer ganz viel mit der Person zu tun, die es anspricht. Das geht ineinander über und wird trotzdem unterschieden.
Hilke Heinsen ist Pädagogin und Malerin. An der von ihr geleiteten Kita Kilseng Børnehave in Flensburg schätzt sie die Flexibilität der Angebote, das freie Spiel und die gelebte Partizipation. Die Einrichtung existiert seit den 1950er-Jahren. Aktuell betreuen acht Mitarbeiter:innen 50 Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren.
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Den vollständigen Beitrag und weitere Artikel zum Thema können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 09-10/2022 lesen.