Geheime Wege in die Urzeit
Die Kindergartenkinder der südhessischen Gemeinde Messel dürfen kurz vor der Einschulung, etwas, das sonst kaum jemand darf. Sie nehmen an einer exklusiven Führung des Messeler Museumsvereins in die Weltnaturerbestätte Grube Messel teil. Die Erzieherin Angelika Jonas berichtet von der Exkursion einer der in diesem Jahr insgesamt vier Forscher:innengruppen mit Schulanfänger:innen der Messeler Kindertagesstätten »Fossilchen« und »Am Kohlweg«.
Anders als gewohnt beginnt der heutige Kitatag für eine Gruppe von zwölf Vorschulkindern aus Messel. Wir kommen nicht wie sonst im Kindergarten zusammen, sondern vor der frei zugänglichen Aussichtsplattform der Weltnaturerbestätte Grube Messel. Dort werden wir von unserem Exkursionsleiter Herr Becker bereits erwartet. Bevor wir das Gelände zu erkunden beginnen, macht er uns mit einigen Regeln vertraut. Die Kinder, die sich eben noch aufgeregt nach Vulkankratern, Lava und Dinosauriern oder zumindest Knochen von Dinosauriern umschauten, hören ihm konzentriert und fasziniert zu. Damit, dass wir an Stellen vorbeikommen, die gefährlich sind, weil man abrutschen könnte, hatte wahrscheinlich keines von ihnen gerechnet. Wir versichern uns am Ende gegenseitig, immer in der Gruppe zu bleiben und gute Gäste zu sein, die keine Dinge mitnehmen oder kaputtmachen und keinen Müll hinterlassen.
Magische Linie
Es ist noch früh am Tag, als wir uns auf den Weg machen. Dennoch sind wir froh, dass alle nicht nur an ihren Rucksack mit einem kleinen Frühstück und einer Trinkflasche, sondern auch an ihre Sonnenhüte und die Sonnencreme gedacht haben. Vor einem großen Tor halten wir an. Die Spannung steigt, als Herr Becker darum bittet, dass wir uns in einer Reihe aufstellen und auf drei gleichzeitig über einen Schatten springen sollen, den die Sonne in diesem Moment zwischen die beiden Torpfosten wirft. Zusammen landen wir jenseits der magischen Linie und malen uns aus, wie es hier vor 48 Millionen Jahren wohl ausgesehen hat. Ein Sumpfgebiet inmitten eines riesigen Vulkankraters soll hier gewesen sein, sagt Herr Becker, und viel wärmer, als wir es gewohnt sind, war es damals. Fabian stellt sich die Landschaft »mit vielen Tümpeln und jeder Menge Matsch und Schlamm« vor. »Ja, so war das wohl tatsächlich und mittendrin Krokodile, die berühmten kleinen Urpferdchen und viele andere Tiere, Insekten und Pflanzen, die zum großen Teil inzwischen ausgestorben sind«, ergänzt Herr Becker. Das lässt uns staunen, und die Kinder wirken erleichtert, als sie von Herrn Becker erfahren, dass wir während der gesamten Exkursion keine Begegnung mit gefährlichen Tieren befürchten müssen. Wer möchte schon einem Krokodil begegnen? In freier Wildbahn?
Keine Dinosaurier?
Die Kinder nutzen die Begegnung mit dem ehrenamtlichen Mitarbeiter des Museumsvereins, der hauptberuflich als Lehrer unterrichtet, um ihm die dringlichsten ihrer Fragen zu stellen. Allen voran die nach den Dinosaurierknochen. »Wann können wir endlich Dinoknochen ausgraben?«, will Fabian wissen. Auch Ruben hat konkrete Pläne: »Ich will einen ganzen Säbelzahntiger finden!« Leider muss Herr Becker die beiden enttäuschen. Wie wir bereits in der Kita vermutet hatten: Die Dinosaurier waren zu der Zeit, als die Sumpflandschaft der Grube Messel entstand, schon sehr lange ausgestorben. Um ihre Knochen zu finden, müsste man an anderen Stellen graben. »In Amerika«, schlägt Veit vor. Aber David weiß, dass auch in Deutschland Überreste von Dinosauriern gefunden wurden. Wo genau das war, wollen wir unbedingt gleich nach der Exkursion in einem unserer vielen Bücher über Urzeitlebewesen in der Kita nachschauen. Für die Kinder machen ein paar Millionen Jahre offenbar keinen großen Unterschied. Wen wunderts, wo es selbst Erwachsenen schwerfällt, derartige Dimensionen zu erfassen. Dann fällt David ein, für welche Tiere Messel bekannt wurde: »Da gab es doch aber diese Urpferdchen?«, traut er sich zaghaft zu fragen. »Oh, ja«, höre ich Herr Becker erwartungsfroh antworten, »das Urpferdchen werden wir treffen. Schon ganz bald.« Doch vorher wandern wir hinunter zum Tümpel, der sich am tiefsten Punkt der Grube befindet.
Dafür wechseln wir schon bald von der Straße, auf der riesige Bergwerksfahrzeuge fuhren, als hier vor gerade mal 100 Jahren noch Ölschiefer abgebaut wurde, auf kleinere Pfade. Die Kinder sind konzentriert bei der Sache. Sie bleiben zusammen und achten, wie zu Beginn unserer Unternehmung abgesprochen, auf den Weg, der an manchen Stellen tatsächlich recht steil ist. »Was ist denn das?«, fragt Sara auf einmal und deutet auf ein Krokodil, das sich in einem Gebüsch versteckt. Miron hat keine Angst und läuft direkt darauf zu, um es zu berühren. »Das ist ja gar nicht echt«, stellt Amelie von weitem fest. Zum Glück, denn jetzt gibt es auch für die anderen Kinder kein Halten mehr. Alle wollen das Krokodil sehen und anfassen. Nach einiger Zeit locken wir sie mit der Erwartung, ein Urpferdchen zu treffen, weiter. Auf dem Weg dorthin mache ich die Kinder auf Raupen, Käfer und Schmetterlinge aufmerksam. Tatsächlich leben in der Grube Messel viele wilde Tiere und Pflanzen. Sie fühlen sich hier wahrscheinlich deshalb besonders wohl, berichtet Herr Becker, weil sie hier nur selten von Menschen gestört werden.
Angelika Jonas arbeitet seit 23 Jahren als Erzieherin in der Kita »Fossilchen« in Messel, einer Einrichtung mit drei Regelgruppen, einer Integrationsgruppe, einer Krippengruppe und einer Waldgruppe.
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Diesen Beitrag können Sie vollständig neben weiteren interessanten Beiträgen in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 07-08/2023 lesen.