Die Europäische Union ermutigt ihre Bürger aktiv, andere europäische Sprachen zu lernen. Im Jahr 2002 forderten Europas Regierungen in Barcelona, dass wenigstens zwei Fremdsprachen schon in der frühen Kindheit gelehrt werden sollen. Anemone Geiger-Jaillet stellt Prinzipien und Modelle des frühen Lernens in der Praxis vor.
In der vergangenen Dekade ist der frühe Sprachunterricht in den europäischen Ländern fast zu etwas Alltäglichem geworden. Generell lernen die Kinder in vielen Ländern eine zweite Sprache ab der Grundschule. Die Trends in den Kindertagesstätten für noch nicht schulpflichtige Kinder sind jedoch komplexer und wegen der Vielfalt der Einrichtungen auch innerhalb der Länder und über Ländergrenzen hinweg schwerer zu vergleichen. Einige Länder führen Fremdsprachen in diesen Einrichtungen ein und fördern die Kinder, deren erste Sprache nicht die ihres Gastgeberlandes ist.
Prinzipien des frühen Lernens von Sprachen
Über drei Prinzipien gibt es globale Übereinstimmung.
1. Je jünger die Kinder, desto wichtiger ist es, das so genannte Ronjat-Grammot-Prinzip anzuwenden: »ein Mensch – eine Sprache«, das heißt, ein Mensch spricht mit dem Kind immer nur in einer Sprache.
2. Die Ergebnisse werden besser, wenn Gleichheit zwischen den verschiedenen Sprachen besteht, das heißt, dass sie einen vergleichbaren Status haben (dass es also nicht so ist wie im Falle der türkischen Sprache in Deutschland, wie Serap Sıkcan in ihrem Artikel beschreibt).
3. Es ist wichtig, die Sprache zu benutzen. Für junge Kinder bedeutet das, viele Dinge in der unterrichteten Sprache zu tun, beispielsweise zuhören und singen, basteln, Spiele spielen, Videos sehen oder Theater spielen. Aber trotz seiner Bedeutung wird dieses Prinzip im frühen Sprachunterricht oft nicht ausreichend umgesetzt.
Andererseits stimmen die Experten weniger darin überein, dass es notwendig ist, in einem sehr frühen Alter zu beginnen. Einige betonen, dass der frühe Unterricht allein noch keine guten Ergebnisse garantiert, wenn bestimmte didaktische Prinzipien, angemessene Ressourcen und Kontinuität in der Ausbildung nicht gewährleistet sind. Auch drei Stunden Sprachunterricht pro Woche für Kinder von vier bis 16 sind nicht sehr motivierend; drei Stunden sind zwar viel, aber gleichzeitig auch nicht genug. Statt dessen wäre es viel besser, intensivere Lernphasen in der Sprache zu haben, die sich mit Phasen der Pflege und des Erhalts abwechseln, die pädagogischen Methoden zu variieren und Aktivitäten in der Zielsprache außerhalb des Lehrplans zu planen und ein Land zu besuchen, in dem die Sprache gesprochen wird.
Einige Praxismodelle für frühes Sprachenlernen
Fremdsprachen
(nicht-zweisprachiges System)
Moderne Sprachen werden oft in Kindereinrichtungen eingeführt (zum Beispiel in einigen Kindergärten in Deutschland oder Österreich), indem die Kinder von drei Jahren an einer anderen Sprache »ausgesetzt« werden, meist ist das Englisch. Viele Städte oder Regionen haben Austauschprogramme mit Erzieherinnen oder Lehrerinnen aus dem Land gestartet, in dem die Sprache gesprochen wird (zum Beispiel das Saarland in Deutschland mit Lothringen in Frankreich). Das Prinzip des Muttersprachlers ist in diesem Modell vorherrschend, das heißt, es geht um die Idee, dass nur ein Muttersprachler eine Fremdsprache vermitteln kann. Die Methode unterscheidet sich, obwohl sie auf dem Spiel beruht, von anderen Lernprozessen. Französisch ist zum Beispiel von anderen Fächern auf dem Stundenplan getrennt. Eine Veränderung ist jedoch im Gange, die von diesem Modell zu den drei Modellen führt, die nachfolgend beschrieben werden.
Praktische Zweisprachigkeit
Diese Methode bevorzugt die interkulturelle Kommunikation und eine Einführung anderer Kulturen über das Lernen einer Sprache. In einigen Fällen bezieht das Modell einzelne Kindergärten oder Schulen ein, oft sind das durch Gebühren finanzierte zweisprachige Einrichtungen für junge Kinder. Ein Beispiel ist die Wiener Zweisprachige Schule in Österreich. Andere Einrichtungen werden von dem Verein für frühe Mehrsprachigkeit an Kindertageseinrichtungen und Schulen angeboten, der alle deutschen Kindertagesstätten auflistet, die eine andere Sprache anbieten (siehe unter www.fmks-online.de.)
In anderen Fällen wird diese Methode von einer ganzen Region angewendet, beispielsweise im italienischen Südtirol, wie Martin Dodman es in seinem Artikel auf Seite 24 beschreibt.
Nationalsprache plus
Viele zweisprachige Kindergärten in Berlin berücksichtigen den Wunsch der türkischen Eltern, ihre Kinder zweisprachig zu erziehen, indem sie deutsch und türkisch sprechen. Der französische Akademiker Patrick Blanchet hat die Komplexität des Unterrichtens von Fremdsprachen neben dem der Nationalsprache dargestellt: siehe unter
www.cahiers-pedagogiques.com/article.php3?id_article=850.
Wenn die zweite Sprache nicht sehr verbreitet ist, kann man die folgenden Modelle finden:
Es wird in der Sprache einer Minderheit unterrichtet
Seit rund 30 Jahren haben einige Regionen in Frankreich, in denen die Nationalsprache nicht Teil des linguistischen Erbes ist, Systeme eingeführt, in denen das Französische als Landessprache mit den regionalen Sprachen (wie Baskisch, Katalanisch, Bretonisch) kombiniert wird. Zuerst wurde dieses System an Privatschulen eingeführt und dann auf das staatliche Schulsystem ausgedehnt. Sowohl öffentliche als auch private Ausbildung für die neuen zweisprachigen Lehrkräfte steht jetzt zur Verfügung.
Ein anderes Szenarium findet man in Luxemburg, wo der Kindergarten für jedes Kind ab vier Jahren Pflicht ist. Unterricht wird auf Luxemburgisch erteilt, in den Kindergärten wird keine andere Sprache gesprochen. Das geschieht, um Luxemburgisch zu unterrichten und es weiterzugeben – die Sprache, die seit etwa 25 Jahren die Nationalsprache des Landes ist – und um eine Grundlage für Deutsch als Schriftsprache und Französisch als zweite Sprache in der Grundschule zu sichern.
Viele EU-Bürger sprechen regelmäßig eine regionale Minderheitensprache, die von Generation zu Generation weitergegeben wird, zusätzlich zur offiziellen Landessprache. Siehe unter: http://ec.europa.eu/education/policies/ lang/languages/langmin/regmin_fr.html.
Während diese Sprachen im Allgemeinen nicht gefährdet sind, sind ihre Vitalität und das kulturelle Erbe in einigen Regionen doch bedroht. Aus diesem Grunde hat die dänische Gemeinde in bestimmten Bezirken im Norden Schleswig-Holsteins in Deutschland deutsch-dänische Spielgruppen eingeführt, und die deutschsprachige Gemeinde in Süddänemark hat ähnliche Gruppen eingerichtet.
Eingangsklassen für Kinder aus Einwandererfamilien
Nach dem Bericht »Kinder aus Emigrantenfamilien in Europa integrieren« (siehe unter: www.eurydice.org/ressources/pdf/0_integral/045EN.pdf) organisieren nur sechs Länder (Dänemark, Finnland, Litauen, Luxemburg, die Niederlande und Schweden) Vorschuleingangsklassen, um Kinder aus Einwandererfamilien auf den Unterricht in der Landessprache an der Pflichtschule vorzubereiten. In Dänemark wurden Kinder, die das Schulpflichtalter (sechs Jahre) erreicht hatten und nicht ausreichend dänisch sprachen, normalerweise in Eingangsklassen geschickt, bis sie die dänische Sprache so gut beherrschten, dass sie dann an der Schule zurechtkamen. Doch kürzliche Gesetzesveränderungen verlangen, dass »lokale Verwaltungen die so genannten Programme zur Sprachförderung für alle Kinder aus Einwandererfamilien von vier Jahren an organisieren. Diese Programme haben sich als sehr erfolgreich erwiesen, 95 Prozent der Kinder, die sich daran beteiligt haben, waren imstande, danach ohne den vorherigen Besuch einer Eingangsklasse in die Grundschule zu gehen.«
Im Gegensatz dazu beginnt in Frankreich die Unterstützung von Kindern, die nicht französisch sprechen, erst in der Grundschule. Davor, in den Écoles maternelles, bekommen die Kinder keine besondere Hilfe. Die politischen Entscheidungsträger glauben, die Vertiefung des französischen Französisch reicht aus. Frankreich und andere Länder, einschließlich Deutschland, machen jedoch Pläne, um eine systematischere Herangehensweise an das Erlernen der Landessprache zu entwickeln.
Ein Fazit
1. Das Thema der Sprachen in Einrichtungen für die frühe Kindheit betrifft nicht nur Fremdsprachen, sondern auch viele Sprachen von Minderheiten.
2. Viele Eltern und politische Entscheidungsträger sind sich nicht bewusst, dass eine zwei- oder mehrsprachige Bildung von einem frühen Alter an notwendig ist, um die Dominanz bestimmter Sprachen zu vermeiden.
3. Die Herausforderung besteht jetzt darin, speziellen mehrsprachigen Unterricht für Kinder von einem sehr frühen Alter an anzubieten. Nicht an der Universität wird das am besten qualifizierte Personal gebraucht, sondern an den Kindertagesstätten!
4. Die gegenwärtig genutzten Methoden der empirischen Forschung und in der Ausbildung des Personals reichen in allen Ländern nicht aus. Dieses Gebiet steckt noch in den Kinderschuhen.
5. Zweisprachig gebildet kann in der Familie werden (familiäre Zweisprachigkeit), aber auch in der Schule (institutionelle Zweisprachigkeit). Jede Art hat ihre eigenen Charakteristika und Grenzen. Beide müssen entwickelt werden, indem man der Lücke zwischen der Familie und der Krippe, des Kindergartens oder der Schule Aufmerksamkeit widmet. Die Vereinigung für frühe Mehrsprachigkeit in Kindertagesstätten und Schulen in Deutschland zeigt den Weg, wie man Eltern, Ausbilder, Erzieherinnen, Sprachwissenschaftler und Neurowissenschaftler, Sozialarbeiter, Politiker und Unternehmensvertreter zusammenführt.
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