Jan Peeters skizziert Entwicklungen der frühpädagogischen Fachkräfte gestern, heute und morgen.
Das Berufsbild der frühpädagogischen Fachkräfte ist großen Veränderungen unterworfen. Hervorgehoben wird dabei neuerdings die Kompetenz, zu verhandeln und Netzwerke zu bilden. Die Entwicklung dieser neuen Auffassung von Professionalität wird durch politische Initiativen, quantitative Forschungsergebnisse und theoretische Debatten vorangetrieben. Doch man weiß noch zu wenig von der Sicht der Praktiker selbst auf die allmähliche Veränderung ihrer Rolle.
Praktikerinnen haben jedoch eine aktive Rolle bei der Konstruktion des neuen Verständnisses von Professionalität gespielt und ihre Ansichten sind von großer Bedeutung für das richtige Verständnis dieser Prozesse. Wie Julia Manning-Norton kommentiert: »Um eine wirklich gute frühpädagogische Fachkraft zu sein, muss man die Beziehungen zu Kindern, Eltern und Kollegen reflektieren und nicht nur durch die Brille unseres theoretischen Wissens sehen, sondern auch durch den Spiegel unserer subjektiven persönlichen Geschichte und unseres gegenwärtigen fühlenden und in die Umwelt eingebetteten Selbst.«
In einer kürzlich veröffentlichten Studie habe ich beschrieben, wie sich die Auslegung des Begriffs Professionalität in der Kinderbetreuung in Flandern entwickelt hat. Als Grundlage habe ich so genannte »kleine narrative Berichte« verwendet – auf Video aufgenommene Interviews, die zwischen 1980 und heute gemacht wurden und in denen Fachkräfte aus der Kinderbetreuung über das Verständnis ihres Berufs sprechen. 26 Stunden Videoaufnahmen wurden digitalisiert und analysiert. Vier Stunden dieser Interviews wurden ausgewählt, die gemeinsam ein Bild davon ergeben, wie die Fachkräfte ihre Arbeit in der Kinderbetreuung von den 70er Jahren bis heute interpretiert haben und interpretieren.
Frühpädagogische Fachkräfte streben eine alternative Interpretation von Professionalität an
Um die Interpretation von Professionalität in den 70er Jahren zu untersuchen, nutzten wir auch eine videogestützte Methode. Drei Fachkräfte sahen sich im Jahre 2007 ein Video von 1981 an. Auf dem Band sprachen frühpädagogische Fachleute über ihren Beruf und die Ausbildung, die sie in den 70er Jahren bekommen hatten. Nachdem die drei diese Bänder gesehen hatten, blickten sie zurück auf ihre eigene Ausbildung und ihre ersten Arbeitserfahrungen in den späten 70er Jahren – eine Zeit, in der die Kinderbetreuung noch völlig von einem medizinisch-gesundheitlichen Diskurs beherrscht wurde. Die Erklärungen dieser Fachleute, die über die damalige Zeit sprachen, machen deutlich, wie stark ein dominierender Diskurs die Art und Weise beeinflussen kann, in der junge Leute aus dem Personal ihren Beruf verstehen.
Meine Ausbildung in den 70er Jahren bestand ausschließlich darin, Kinder zu betreuen, und die Kindergärten (Nurseries) widmeten der Frage, was »gesund« ist, eine riesige Aufmerksamkeit. Die Kinder wurden zu warm angezogen, so dass ihre Bewegungsfreiheit ernsthaft eingeschränkt war. Sie verbrachten ihre ganze Zeit – ob wach oder schlafend – in ein und demselben Raum. Aus diesem Grunde musste der Raum belüftet werden und wir setzten den Kindern Mützen auf und zogen ihnen Pullover an und öffneten dann für zehn Minuten das Fenster. Dann schlossen wir das Fenster wieder und warteten, bis der Raum sich wieder auf die richtige Temperatur erwärmt hatte. Erst danach nahmen wir den Kindern die Mützen und Mäntel wieder ab. So bekam das Kind niemals die Chance, sich zu entspannen, und konnte nicht schlafen, wenn es müde war. Niemand fragte jemals danach, was das für das Kind bedeutete. Das ist ein Verhalten, zu dem mich heute niemand mehr bringen würde. Aber damals – man war jung, man hatte keine Erfahrungen, und so hat man es gelernt. Man kam gut damit klar, bis einem die Augen geöffnet wurden.
Erzählungen von Eltern aus dem Jahr 1980 machen deutlich, wie schlecht ihre Erfahrungen mit dieser kühlen und distanzierten Art waren, mit Kindern und Eltern umzugehen:
Man durfte das Spielzimmer nicht betreten, sie riefen den Namen des Kindes auf, und Mutter oder Vater mussten in der Halle warten, bis sie ihr oder ihm das Kind übergaben.
Man wurde nicht mit dem Personal bekannt gemacht, man kannte die Namen nicht.
Ich hätte gern Informationen darüber bekommen, was mein Kind den ganzen Tag über gemacht hatte, aber spontan bekam man diese Informationen nicht. Man musste ausdrücklich danach fragen und die Antwort war meist sehr kurz. »Er hat gut gegessen und geschlafen.« Andere Informationen bekam man nicht.
Die 80er Jahre waren eine Zeit großer Veränderungen in dem Bereich. Der medizinisch-gesundheitliche Diskurs hörte auf. Engagierte Mitglieder des Personals – Akteure der Veränderungen – experimentierten in anwendungsbezogenen Untersuchungen der Universität Gent mit einer stärker pädagogischen Interpretation von Professionalität. Besonders der Entfaltung herzlicher Beziehungen zu den Eltern und einer anregenden Umgebung für die Kinder widmeten sie ihre Aufmerksamkeit.
Die Interviews und Filmausschnitte zeigen den partizipatorischen Prozess der pädagogischen Innovation, der für diese Untersuchungen bezeichnend war. Sie zeigen, wie die Fachkräfte gemeinsam mit den Wissenschaftlern neues praktisches pädagogisches Wissen konstruierten. Durch diese Erzählungen wird deutlich, wie die Fachkräfte in dieser Zeit ihre Auffassung von Professionalität erweiterten, indem sie selbst Akteure der eingeführten Innovationen wurden. Carlina Rinaldi aus Reggio Emilia hat diesen partizipatorischen Prozess kurz und bündig beschrieben: »Partizipation fördert die Professionalität.«
Die folgenden kurzen Ausschnitte aus Erzählungen aus den frühen 80er Jahren zeigen den positiven Einfluss dieses partizipatorischen Prozesses der Innovation und Erneuerung.
Ich habe die Veränderungen als extrem positiv erlebt. Man gab uns mehr Raum, für uns selbst zu entscheiden, wie wir unsere Tätigkeit entwickeln wollten.
Wenn du in der Vergangenheit eine Idee hattest, wie du die Arbeit verbessern wolltest, war es sehr schwierig, das auch umzusetzen. Jetzt haben wir ein Team-Meeting, auf dem regelmäßig darüber diskutiert wird, so dass du Unterstützung von deinen Kollegen bekommst und bessere Ergebnisse erzielst, wenn du die Arbeit verbessern willst.
Wir standen eigentlich immer mit dem Rücken zu den Kindern. Jetzt dagegen sehen wir so viel mehr; wir sehen, was unsere Kinder tun, wir wissen viel mehr über sie und wir reden mit unseren Kollegen auf den Team-Meetings sehr oft über die Kinder.
Diese Berichte zeigen den großen Einfluss, den die Beteiligung der Fachkräfte am Prozess der Veränderung auf sie hatte. Ein Prozess, in dem sie – unterstützt von pädagogischen Beratern oder Wissenschaftlern – selbst zu Vermittlern der Veränderung wurden. Er vermittelt ihnen Zuversicht, Selbstbewusstsein und immer mehr Zufriedenheit mit ihrer Arbeit.
Die zweite Hälfte der 80er Jahre war gekennzeichnet durch den Optimismus, was das In-House-Training betraf, das Manager und Fachkräfte gemeinsam hatten. In-House-Trainingskurse schienen für die Politiker der ideale und preisgünstige Weg zu sein, den Betreuerinnen (family day carer), die keine Grundausbildung oder Qualifizierung haben mussten, etwas professionelles Wissen zu vermitteln und gleichzeitig die Fachkräfte, die in der medizinisch-gesundheitlichen Tradition ausgebildet waren, dazu anzuregen, sensibler mit den Kindern umzugehen. Die frühpädagogischen Fachkräfte, die sich am Ende der 80er Jahre äußerten, waren wie die Regierung und die wissenschaftliche Welt fest von der Wirkung der In-House-Kurse überzeugt.
Jan Peeters ist Direktor des VBJK, des Research and Research Centre for Early Childhood Education and Care in Gent
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Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe KINDER in Europa 15/08 lesen.
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