Expertise zur Leitung von Kindertageseinrichtungen
Unabhängige Expertinnen und Experten aus der Wissenschaft erarbeiteten fünf Expertisen, die vom BMFSFJ gefördert wurden. Sie enthalten Handlungsempfehlungen für die Weiterentwicklung der pädagogischen Qualität in unterschiedlichen Bereichen der Kindertagesbetreuung und sollen einen Impuls und wissenschaftlichen Beitrag für die Debatte zur Qualität in der Kindertagesbetreuung geben. Betrifft KINDER berichtet in einer Folge davon.
Im Gespräch mit Petra Strehmel, Professorin an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg geht es um das Thema Leitung von Kindertageseinrichtungen. Sie beschreibt in ihrer Studie notwendige Qualifikationen und Zeitkontingente für Leitungskräfte. Zuvor erstellte sie mit Daniela Ulber für die »Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte« eine Expertise über Tägigkeitsprofile von Leiterinnen. Barbara Leitner führte das Interview.
Sie sagen, das Thema Leitung ist ein blinder Fleck in der Forschungslandschaft. Woran machen Sie das fest?
Kitaleitung war bisher in Deutschland kaum ein Thema für Wissenschaft und Forschung. Das zeigt sich zum Beispiel bei den Lehrbüchern: Eines der wenigen wissenschaftlich fundierten Lehrbücher – das Buch von Wolfgang Klug – ist 2001 erschienen und wurde 2013 unverändert nachgedruckt! Es ist zwar eine Fülle von Ratgeberliteratur auf dem Markt, doch fehlen hier die Quellenangaben und damit die Angaben zu den vorhandenen wissenschaftlichen Fundamenten. Das Forschungsfeld »Leitung von Kindertageseinrichtungen« beginnt sich erst zu entwickeln. Erste Befunde zur Bedeutung von Leitungstätigkeit und damit verbundenen Belastungen liefern jetzt die AQUA- und die STEGE-Studie. Darin finden sich Hinweise, wie komplex und zugleich ambivalent das Arbeitsfeld von Leitungskräften wahrgenommen wird.
Beide Studien sprechen von hohen Belastungen der Leitungskräfte.
Das war für mich erstaunlich. Mehr als die Hälfte der Fachkräfte erleben Gratifikationskrisen, das heißt, sie verausgaben sich stark, ohne sich dafür entsprechend gewürdigt und entlohnt zu fühlen. Bei Leitungskräften liegt diese Zahl in beiden Studien übereinstimmend bei über 80 Prozent. Offensichtlich gibt es ein großes Ungleichgewicht zwischen dem, was sie in die Arbeit hineingeben, und dem, was sie dafür bekommen. Leitungsarbeit wird kaum richtig anerkannt. Leitungskräfte wirken oft im Hintergrund, die Arbeit wird von manchen gar nicht gesehen und es gibt die Auffassung, dass diese Arbeit ganz nebenbei erledigt werden kann.
Wie kommt es zu dieser hohen Belastung in einer Führungsposition?
Genau diese Frage stellte ich einem Leiter. Ich war eigentlich davon ausgegangen, dass in einer Leitungsposition gestaltet wird und zusammen mit dem Team etwas entwickelt werden kann. Der Leiter sagte mir: Die Fachkräfte arbeiten mit den Kindern, bekämen dadurch ein positives Feedback und können so ihre Belastungen kompensieren. Er hingegen verschwände oft am Morgen im Büro, sei den ganzen Tag mit Verwaltungsarbeit beschäftigt und löse Konflikte. Das zehrt an den Kräften.
Leitungsarbeit wird sehr unterschiedlich definiert und auch honoriert – ganz verschieden in den 16 Bundesländern.
Auch diesen Aspekt betrachteten wir in unserer Analyse und fragten: Kommt das Thema Leitung in den Bildungsplänen der einzelnen Länder vor? Das ist bei zwölf der 16 Bundesländer der Fall, jedoch in unterschiedlichem Ausmaß. Auffällig ist, dass Leitungstätigkeit meistens im Zusammenhang mit den Aufgaben des Teams oder denen des Trägers beschrieben wird. Dabei kommt zum Ausdruck, dass es oft gar keine genauen Vorstellungen darüber gibt, worin die Verantwortung der Leitung liegt. Karin Beher und Jens Lange von der TU Dortmund bezeichnen das zutreffend als »fehlendes Orientierungswissen«.
Wie würden Sie die Verantwortung der Leitung umreißen?
Es ist klar, dass die Kitaleitung gemeinsam mit dem Team die Konzeption für die Arbeit entwickelt, dass sie zusammen mit dem Träger das ökonomische und konzeptionelle Vorgehen berät und die Öffentlichkeitsarbeit gestaltet. Wenig wahrgenommen wird hingegen, dass die Leitungskräfte die Fäden in der Hand halten und sehr komplexe Vorgänge für einen kleinen oder mittleren Betrieb mit manchmal nur fünf, oft aber mit 30 oder 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern managen. Die notwendigen Kompetenzen dafür werden in der Ausbildung kaum vermittelt. Das meiste Wissen eignen sich Leiterinnen und Leiter im Nachhinein oder »on-the-job« nebenbei an.
Was genau müssen Leitungskräfte wissen und können?
Leitungskräfte müssen vor allem Führungspersönlichkeiten sein, die profunde Kenntnisse im Bereich der Frühen Bildung in Kombination mit Managementwissen haben. Der BA-Studiengang »Bildungs- und Sozialmanagement mit Schwerpunkt frühe Kindheit« an der Hochschule Koblenz war der erste, der ein solches Studienangebot in dieser Komplexität bereithielt. Auch an der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften bieten wir einen Studiengang »Bildung und Erziehung in der Kindheit« zum Schwerpunkt »Management und Institutionenentwicklung« an, der sogleich vertieftes Wissen über frühe Bildung vermittelt. Das ist allerdings noch nicht selbstverständlich. Bei Fortbildungen zeigen sich immer wieder blinde Flecken, weil bislang noch nicht systematisch erarbeitet worden ist, was Leitungstätigkeit im der Kita überhaupt auszeichnet. In unserer Expertise haben wir versucht, eine solche Systematik zu entwickeln. Zertifizierte Fortbildungen vermitteln zwar Kenntnisse im Personalmanagement und in der Verwaltung, die Verbindung zur pädagogischen Praxis, zur Elternarbeit, zum Fachdiskurs insgesamt fehlt jedoch zumeist. Mitunter werden Kitaleitungen von Betriebswirtschaftlern ohne Kenntnis über frühpädagogische Belange geschult und es wird ihnen dann selbst überlassen, wie sie das neue Wissen in ihrem Arbeitsfeld anwenden.
Ein wichtiges Thema für Leitungskräfte ist das Selbstmanagement...
Hier es geht um die Arbeitsorganisation, die Reflexion der eigenen Rolle und Selbstführung. Das alles aber unter Bedingungen, die nicht der Anerkennung einer Leitungskraft in einem Unternehmen entspricht.
30 Euro Netto mehr bekommt er, sagte mir kürzlich ein Leiter!
Die Kitaleitung muss viele Ebenen gleichzeitig im Blick haben und ihnen gerecht werden. Eine Leitungskraft geht durch die Kita, führt hier Gespräche mit Eltern, da sieht sie, dass etwas repariert werden muss. Am schwarzen Brett fällt ihr auf, dass der Aushang nicht aktuell ist usw. Das verlangt eine klare Arbeitsorganisation und ein gutes Zeitmanagement, um die Aufgaben in ihrer Komplexität bewältigen zu können. Gleichzeitig muss die Leiterin die Arbeit der Mitarbeiterinnen reflektieren. Manchmal entstehen dabei herausfordernde Situationen, wenn Kritik angebracht ist oder Veränderungen begleitet werden müssen. Oft ist es auch schwierig, eine Vertretung für ausgefallene Kollegen zu organisieren und den Betrieb aufrecht zu erhalten bei knappem Personalschlüsseln. Dafür brauchen Leitungskräfte eine unterstützende Infrastruktur. Bei manchen Trägern gibt es Runden, in denen Leitungskräfte ihre Erfahrungen austauschen und diskutieren können.
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 04/15 lesen.