Bengel und Engel in Hamburg
Am Anfang hatte Rebecca Dahl Angst. Die Erzieherin und Sozialpädagogin war 34 Jahre alt und hatte eine lange Berufstätigkeit bei verschiedenen städtischen Einrichtungen, Elterninitiativen und kleinen Kitas hinter sich. Für sie stand fest: Mit so wenig Freude mit und an den Kindern und auf so festgefügten, bequemen Gleisen, wie sie es dort erlebte, wollte sie nicht mehr arbeiten. Sie hatte gerade eine schwere Krankheit überwunden und ihre Mutter auf ihrem letzten Weg begleitet. So mit der Endlichkeit des Lebens konfrontiert, wollte sie keinen einzigen Tag mehr verplempern und nur noch Dinge mit Sinn tun.
Ohne finanzielles Polster, dafür mit einer klaren Vision einer guten Kinderbetreuung im Herzen, sprang sie ins kalte Wasser und gründet ihre eigene Kita: Bengel & Engel, eine private Kindertagesstätte mit Kinderhotel. Heute werden in fünf kleinen, familiennahen Einrichtungen ungefähr 170 Kinder zwischen null und sieben Jahren betreut. Fast 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zählt das Unternehmen im bunten Stadtteil Eimsbüttel in Hamburg.
Vor zwölf Jahren saß Rebecca Dahl mit gerade mal zwei Kindern in den frisch renovierten Räumen ihrer ersten Kita. Mit denen verbrachte sie den Tag, kochte und putzte selbst. Sie hatte investiert, um die ehemalige Werkstatt eines Bilderrahmenbauers in einen freundlichen, Geborgenheit ausstrahlenden Ort zu verwandeln. Nun war sie unsicher, ob sie jemals dazu in der Lage sein würde, die aufgenommenen Kredite zurückzuzahlen.
Freundlich zugewandt und entspannt sitzt die 46-Jährige mir in ihrem schlicht eingerichteten Büro gegenüber. Ein dunkler Bauernschrank und zwei Korbstühle stehen darin. Auf einem sitzt ein Teddy. In einer Ecke sind auf dem Boden einige Akten und Bücher zu sehen. Der Schreibtisch, ein einfacher dunkler Tisch, ist beinahe leer. Ihn ziert nur eine üppige gelborange Rose in einer Glaskaraffe, ein Adressenkästchen und das Telefon liegen griffbereit. Zwei Stühle vor und hinter dem Schreibtisch verraten, dass hier vor allem gesprochen wird, auf Augenhöhe. Und es geht um Kinder.
Von Fotos an zwei Wänden schaut der achtjährige Sohn von Rebecca Dahl dem Geschehen zu, als prüfe er, ob seine Mutter ihm und den Anliegen von Kindern wirklich in jedem Moment gerecht werde. Von ihrem Schreibtisch aus kümmert sich die Geschäftsführerin um Kooperationen mit Ämtern, Diensten, der Musikschule, organisiert sie Begegnungen. Hier trifft sie auch ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Gleich, wer vor ihr steht, zuerst will sie wissen, wie es ihrem Gegenüber geht, ob er oder sie zufrieden ist. »Es menschelt hier«, beschreibt Rebecca Dahl ihre Arbeitsweise und lächelt, dass die Grübchen auf ihren Wangen hüpfen und ihre blauen Augen leuchten.
Private Kita für alle Kinder
Zum ersten Mal hatte ich Bengel & Engel bei einer Hospitation besucht. Der private Träger mit einem eigenen Kinderhotel stellte sich vor, und mit einigen Vorurteilen im Kopf wollte ich ihn kennenlernen. Was sind das für Eltern, die einen privaten Träger wählen, fragte ich mich zuerst. Dabei hatte sich Rebecca Dahl von Anbeginn entschieden, allen Eltern unabhängig von ihrem Einkommen eine qualitativ gute Kinderbetreuung bieten zu wollen. »Meine Mutter hatte mich jung bekommen und war immer berufstätig«, erklärt sie.
Ohne öffentliche Kinderbetreuung wäre das nicht gegangen. »Ich will Eltern unterstützen, damit sie mit ruhigem Gewissen arbeiten gehen und auch sich sicher sein können, dass ihre Kinder gut versorgt sind und in einer anregungsreichen Umgebung ihren Tag verbringen.« Das in einer privaten Kita zu tun, wurde in Hamburg durch das 2003 eingeführte Kitagutscheinsystem möglich. Die Eltern beantragen den Gutschein beim zuständigen Jugendbezirksamt und können ihn in jeder Kita ihrer Wahl einlösen. Dort bezahlen sie nach ihrem Einkommen. Und die Stadt bezahlt die Differenz, für eine private Kita ebenso wie für jede andere.
Schon beim ersten Kennenlernen mit den Eltern nimmt sich die pädagogische Leiterin im Schnitt zwei Stunden Zeit für ein Gespräch: erklärt das Bildungsverständnis von Bengel & Engel, wie die Kitas organisiert sind und beantwortet alle Fragen. »Die Eltern schätzen es sehr, unsere Strukturen kennenzulernen und zu erfahren, wie wir vorgehen. Diese deutlichen Einblicke in die Arbeit sorgen später dafür, dass die Pädagoginnen und Pädagogen sich vor allem um die Kinder kümmern können, weil sie weniger Zeit dafür aufwenden müssen, den Eltern immer wieder Teile des Konzeptes verständlich zu machen«, erklärt Rebecca Dahl.
Die Milchschnitte ist kein Thema
Gesunde Ernährung ist so ein Thema, dass anderenorts schnell zu langen Diskussionen führt. Bei Bengel & Engel ist klar: Die Kinder bekommen drei bis vier Mahlzeiten am Tag und alle Kinder das Gleiche. »Die Kinder erleben sich als Teil der Gruppe und wir müssen nicht über Milchschnitten streiten«, kommentiert die Geschäftsführerin.
Das Mittagessen wird von einem Caterer geliefert, der sich in der Zusammensetzung der Mahlzeiten auf die Bedürfnisse der Kinder spezialisiert hat. Dabei wird in den fünf Häusern auf Zucker und Fleisch vollkommen verzichtet. Das geschieht nicht aus ideologischen Gründen, sondern weil Eltern häufig verschiedene Ansichten über die Qualität und die Menge haben und nicht jede Religion jedes Fleisch zu essen erlaubt. Auf all das im Alltag Rücksicht zu nehmen, würde ihn kompliziert machen. Also wird den Kindern eine gesunde und leckere Alternative zu Zucker und Fleisch angeboten und sie lernen zugleich eine Menge über gute gesunde Ernährung. »Außerhalb der Kita können die Eltern immer noch für sich entscheiden, ob und wie viel sie von diesen Lebensmitteln ihrem Kind geben wollen.« Pragmatismus und Offenheit scheinen Rebecca Dahl auszuzeichnen. Und das zahlt sich aus.
In unmittelbaren Umgebung der fünf Bengel & Engel-Häuser werden bereits die ersten, im zurückliegenden Jahrzehnt entstandenen Kindertagesstätten geschlossen. In der Hamburger Innenstadt wurden mehr Kita-Plätze geschaffen als die Geburtenentwicklung an Bedarf anzeigte. Die private Kita mit den lustigen Lausbuben-Logos an den Außenfenstern und Wänden allerdings ist immer noch ausgebucht. Oft werden freie Plätze an nachkommende Geschwisterkinder vergeben.
Ein Pluspunkt ist auch die Transparenz in der Arbeit. »Wir wollen, dass die Eltern wenigstens einmal jedes Jahr bei uns im Alltag hospitieren und fragen nach, wenn sie sich nicht von allein anmelden«, betont Rebecca Dahl. Die Eltern mögen bei Bengel & Engel vor allem die kleinen, geschlossenen Kindergruppen mit festen Bezugsbetreuerinnen und den klaren Tagesablauf. Viele Kitas ringsum setzen auf offene Konzepte mit altersgemischten Gruppen, auch weil sie eine größere personelle Flexibilität ermöglichen. Da fehlt den Kindern Halt, meinen die Bengel & Engel-Fachleute und bieten den Kleinen wie den Größeren bei Waldtagen und anderen Ausflügen dennoch genug Abenteuer.
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 04/15 lesen.